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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Septemberheft
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Schröder, Bruno: Penelope und Clytia
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0015

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Abb. 1

lieren wir wenig, wenn wir nicht weiter suchen, son-
dern uns mit dem herkömmlichen Namen des Kunst-
werks bescheiden. Auch des Künstlers Name ist ver-
schollen. Nur vermuten können wir, daß es ein Grieche
war, einer von denen, die aus ihrem verarmenden Hei-
matlande nach Rom gewandert, dort in der kaiserlichen
Stadt Arbeit und Lohn fanden. Denn griechisch ist das
feine Gefühl für die klare Form und ihre zarte Besee-
lung, griechisch auch der Geschmack, mit dem die
Massen des Hauptes, der Schultern und des Büsten-
fußes zu einander abgewogen sind. In diesem Kopfe
lebt dasselbe Gefühl, das die attischen Grabsteine des
vierten Jahrhunderts beseelt, das selbst aus einem
Werk frühklassischer Kunst wie der sog. Penelope zu
uns spricht. Diese Penelope, eine Grabstatue in Ge-
stalt einer trauernd dasitzenden Frau, hat ihren Namen
von Parstellungen der homerischen Dulderin entlelmt,
die einen ähnlichert Typus verwenden. Sie ist in meh-
reren Wiederholungen erhalten, und vou einer solchen
stammt der Kopf des Berliner Museums, den wir hier
in Abb. 2 wiedergeben. Man fühlt sich angeregt zum
Naehdenken, sieht man dies Frauenhaupt neben die
Clytia gestellt. Der Künstler der Penelope ist noch un-
fähig, die Ausdruckskraft des menschlichen Antlitzes
vollkommen wiederzugeben. Und docli kann kein
Zweifel sein, was die Frau bewegt, selbst wenn man
den dazugehörigen Körper nur hinzudenkt; denn der
eigentliche Ausdruck wird durch die Haltung des vorn-
übergebeugten Leibes, der übereinandergeschlagenen
Beine und durch die Haltung der Hände gegeben, deren

eine müßig auf dem Sitze ruht, während die andere
willens scheint, das vorsinkende Haupt zu stützen. Das
bedeutet trauriges Versunkensein trotz dem lächelnden
Munde und zarteste Stimmung bei aller Strenge der
l orm, dieselbe Stimmung wie in dem Clytiakopfe, nnd
dieselbe Griechenkunst trotz den 500 Jahren, die da-
zwischen liegen.

Dieselbe Griechenkunst? Das ist eben die Frage,
die uns den Clytiakopf wieder wertvoll erscheinen
läßt, da das Paradigmatische in der Entwicklung der
römischert Kunst immer deutlicher wird und nun ihre
inneren Kräfte und formalen Bestandteile aufgedeckt
werden müssert. Worin liegt das Griechische, das in
der Augustischen Kunst sicli kundgibt, obschon die
Meister sich die Aufgaben von fremden Herren stellen
lassen und sich ihrem Geiste unterordnen? Wie lieißt
das Merkmal, das die echte griechische Kunst von
ihrer jüngeren, in Rom erblühten Schwester unter-
scheidet, und was vereinigt beide im Gegensatz zu der
Kunst aller Folgezeit?

Die Penelope geliört zu den Werken der bewun-
derungswürdigen Jahrzelmte nach dem Absterben der
iiberreif gewordenen archaischen Kunst und nach den
Stürmen der Perserkriege. Damals schufen die Grie-
chen ihren eigensten Stil. Sie fanden die Grundlagen
ihrer Kunst in der Freiheit und schönen Natürlichkeit,
in der strengen Beschränkung auf die rein künstleri-
schen Werte der plastischen oder zeichnerischen Form,
in dem poetischen Adel idealer Gegenstände oder in der
Bestimmung zu idealen Zwecken. So ist auch in dem
Haupt dieser Statue alle Form auf den knappsten Aus-
druck gebracht, aber auf Grund einer ganz neuen, vom
Archaischen grundverschiedenen Naturbeobachtung.
Nichts Formelhaftes ist in den zusammengefaßten, aber
zart bewegten Zügen des Antlitzes; richtig beobachtet
ist es, wie die Locken sich auf der einen Seite vom
Haupte lösen, auf der andern sich ihm anschmiegen;
der Natur weichen Stoffes gemäß legt sich das Gewand
um den Oberkopf, nicht in schematisch geplätteten
Zickzackfalten, sondern wie zufällig umgeworfen. In

Abb. 2

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