Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

DOI Heft:
1./2. Oktoberheft
DOI Artikel:
Röttger, Bernhard Hermann: Über Hans von Marées
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0049

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Menschen, reine Menschen. Sie stünden nur so da,
ohne Handlung — sie sagten nichts — sie täten nichts?
Die Berge, sagen sie nichts, wenn sie ruhig daliegen am
Horizont über der weiten Ebene und groß sind und
ragend? Marees hat tief in die menschliohe Seele zu
schauen vermocht. Es wird einem so warm und kalt,
und spannungsvoll gegenüber seinen Porträten, man
wird ergriffen gegenüber seinen Selbstbildnissen. Und
welches Menschsein in den Aktkompositionen! Pracht-
volle Leiber, die die Seelen beherbergen. Und geläu-
terte Seelen müssen in solchen Leibern herrschen, sie

gezeigt, wie wenig die Vorsätze der Menschen gelten.
Schon in der nächsten Minute, daß wir den Vorsatz ge-
boren, sündigen wir dagegen. So wie unser Erdball
sich täglich dem Lichte zuwendet, und sich dann doch
wieder abwendet, so bewegt sich auch der Mensch fort-
während im ewigen Kreisiauf vom Guten zum Bösen.
Soll es denn dem Menschen nie gelingen, das Licht, was
er sieht, in unabänderlicher Klarheit zu sehen? Ist der
Tag nur dazu da, um der Nacht Platz zu machen? Doch
ich glaube fest und unbeirrt, daß, mögen unsere Fehler,
Mängel und Schwächen noch so mannigfach und groß

Hans von Marees
Gesamtskizze znr
Ostwand der
Neapler Fresken:
Pergola

Marees-Ausstellung

der

Modernen Galerie
Thannhauser
München

beleben, sie zügeln, ihre Gliedmaßen bewegen oder
ru'hen lassen, in harmonischer Einfügung in ein Größe-
res und in die Natur, in die altes Irdische gestellt ist,
und doch so quellend voll von uralten und endlosen
Menschheitssehnsüchten.

Hören wir Marees selber! „ . . . Sohon wird mir
klar, was ich wiil, ich will leben, ich will das Leben als
ein Göttergeschenk ansehen (was es ja auch in der Tat
ist) und will es wert'halten und schonen, es soll mir eine
unerschöpfliche Ouelle der Beschäftigung bieten, jede
neue Minute soll mir eine ungekannte Seite dieses köst-
licben Geschenkes zeigen .... Schon wieder ist ein
Tag dabin, kein müßiger 'zwar, doch wiederum hat er

sein, mag es uns auch nicht gelingen, dieselben von uns
abzusc'hütteln, ich glaube doch, daß bei einem getreuen
Streben ein Gran des Guten erlangt werden muß, und
wenn es nur ein Minimum wäre, es ist genug, um im
rechten Boden tausendfältige Frucht zu tragen.“ (Nicht
abgesandtes Fragment. Wahrscheinlich an Konrad
Fiedler. Vermutlich Rom, gegen Mitte oder Herbst
1867. Meier-Graefe III, S. 12 f.).

Wie Dante von Vergil geführt durch die Sphären
zog, kann man Marees und Michelangelo sich zusammen
vorstellen, einander äbnlich gesinnt im Willen zum
Großen.

39
 
Annotationen