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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Oktoberheft
DOI Artikel:
Fiebiger, Otto: Unbekannte Originalentwürfe für das Künstlerheft in Villa Schultheiß
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Kunstauktionen / Kunstausstellungen / Schweizerische Kunstchronik / Neue Kunstbücher / Kleine Kunstchronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0055

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tigen Eichbaum die Dichtkunst thronte, von den
Schwesterkünsten der Musik, Malerei, Baukunst und
Bildhauerei umgeben.3) Auf dem Transparent zur
Rechten hatte Overbeck unter Benutzung eines Ent-
wurfs von Cornelius die einflußreichsten Schirmherren
der Künste, auf dem zur Linken Philipp Veit die größten
Künstler aller Zeiten porträtähnlich dargestellt, beide in
feierlichem Zuge auf die Mittelgruppe zustrebend.

Die Predellen wiesen satirisoh-humoristisch gehal-
tene Bilder mit Inschriften gleichen Inhalts auf. Der
Einsturz der Mauern Jerichos in der Mitte von Wilhelm
Schadow bedeutete den Sieg der neuen wahren Kunst
über die unhaltbar gewordene alte, die Reinigung des
Augiasstalls durch Herkules zur Linken, ebenfalls von
Schadow, das gründliche Aufräumen mit veralteten
Kunstanschauungen, Simsons erbitterter Kampf mit den
Philistern zur Rechten von Schnorr die unbarmherzige
Ausrottung alles Philistertums. Zu den einzelnen Trans-
parents und Predellen gab Friedrich Rückert am Schluß
des Gedichtes, Deutsches Kiinstlerfest in Rom,4) das
er bei der Festtafel vortrug, noch eine besondere dich-
terische Erklärung.

Erhalten hat sich von den sechs Bildern nur Over-
becks Zug der Kunstbeschützer, ein 2,98 m hoher, 1,46 m
breiter farbiger Karton. Der viele Jahre in Rom
lebende, 1896 in Bonn gestorbene Bildhauer Carl Voß,
ein geborener Kölner, schenkte ihn 1.878 dem Wallraf-
Richartz-Museum seiner Vaterstadt.5) Nun hat sich in
Schnorrs Nachlaß auch der zeichnerische Entwurf zu
diesern Bilde gefunden. Eröffnet wird der Zug, der von
einem im Hintergrunde sichtbaren hoohragenden Fel-
senschloß zu Tal gestiegen ist und aus einem Hohlweg
herannaht, durch Perikles und Augustus; letzterem zur
Seite steht Mäcenas. Es folgen Karl der Große, Lorenzo
Medici, Leo X. und Julius II. Eine neue Reilie bilden
Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz, König Franz I.
von Frankreich und Kaiser Maximilian. Ein Bischof, ein

3) Vgl. Friedrich von Bötticher, Malerwerke des 19. Jahr-
hunderts, Dresden 1891, I S. 182 nr. 56.

4) Gedruckt iu den gesammelten Gedichten 4. Aufl., Erlangen
1837, S. 37 ff.

5) Vgl. von Bötticher a. a. O. II S. 209 nr. 160. — Eine Photo-
graphie des Originalkartons steilte mir Herr Museumsdirektor
Prof. Dr. Garl Schäfer liebenswürdiger Weise zur Verfiigung.

Doge, Bürgermeister und Ratsherren einer deutschen
Stadt schließen sich an.

Das Gegenstück zu diesem Transparent, den von
Philipp Veit ausgeführten Zug der Meister der Künste,
lernen wir wenigstens durch eine ebenfalls in Schnorrs
Nachlaß vorgefundene Bleistiftskizze kennen. An der
Spitze dieses Zuges, der den in der Ferne angedeuteten
Schiffen entstiegen zu sein scheiut, schreiten König
David und Dante. Homer, Giotto und Phidias folgen
ihnen. Danach erblicken wir Raphael und Dürer, beide
einander die Hand reichend, Erwin von Steinbach und
Wolfram von Eschenbach. Die nächste Gruppe bilden
Michel Angelo, Fra Angelico, Holbein und Peter Vischer.
Ganz im Hintergrunde gewahren wir Shakespeare und
Cervantes.

Beachtung verdient scliließlicli die wohl sieher von
Schnorr herrührende Zeichnung zu der ihm übertra-
genen rechten Predelle. Der in der Bibel °) berichtete
Vorgang „Simson erschlägt tausend Philister mit einer
Esels-Kinnbacke“ ist liier rein historisoh behandelt.
Wenn auch Simsons frisches Draufgehen mit seiner
eigenartigen Waffe und namentlich die sich ängstlich
vor ihm duckende Philisterschaft im Entwurf bereits
einer gewissen Komik nicht entbehrt, so brachte der
Kiinstler die satirisch-humoristische Auffassung des Ge-
schehens doch erst auf dem Originalbilde zur Darstel-
lung, indem er an Stelle der alten neuzeitliche Pliilister
malte und sie durch Sciilafröcke und langzipfelige
Schlafmützen als rüokständige, bildungsfeindliche
Schädlinge charakterisierte. Der neue Simson, der mit
dieser nichtsnutzigen Gesellschaft aufräumte, stürmte,
wie die zeitgenössischen Festteilnehmer berichten, über
einen Markstein, der die Jahreszahl 1818 trug, dahin.
Die bereits tot am Boden liegenden Opfer seines Zorns
hielten schlechte Romane und sentimentale Bücher in
den Händen — ebenfalls eine gliiekliche Anspielung auf
die damalige Zeit.

In ähnlicher Weise wie Sehnorr bekämpfte auch
Schadow, wie wir sahen, in der mittleren und linken
Predelle unzeitgemäße Kunstüberlieferungen. Beide
Männer gaben damit der frohen Zuversicht der in Villa
Schultheiß versammelten deutschen Künstler Ausdruck,
daß sie im stande sein würden, jeder in seiner Weise
der neudeutschen Kunst zum Siege zu verhelfen.

6) Buch der Ricliter Kap. 15 Vers 15 f.

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