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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Novemberheft
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Kern, Guido Josef: Gerhard von Kügelgens Atelier
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0078

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eigenthümlichen und ihrem Berufe angemessenen Um-
gebung zu sehen, die, wo sie sich auf charakteristische
Weise gestaltet hat, keine Zufälligkeit mehr ist, so
wenig, als das Haus der Schnecke, das aus ihr selbst
hervorgeht.“ „Dies aber war in hohem Maße,“ schließt
Wilhelm v. Kügelgen seine Betrachtung, „der Fall bei
meinem Vater, wie auch bei dem schon früher genann-
ten Freunde unseres Hauses, dem Landschaftsmaler
Friedrich, welche b e i d e K e r s t i n g i n s e i -
n e r W e i s e m a 11 e. “ ')

Bisher sind nur Darstellungen Kerstings nacli dem
Atelier von Caspar David Friedrich bekannt geworden:
das berülnnte Bild in der National-Galerie und die Wie-
derhoiung bei Professor Harald Friedrich in Ffannover.
Leider ist auf dein erstgenannten Bilde gerade die
Jahreszahl der Signatur soweit zerstört, daß es sich
nicht mehr genau datieren läßt. Die ‘zweite, etwas hel-
lere Fassung, die mit dem Bilde der National-Galerie auf
der Jahrhundert-Ausstellung zu sehen war, trägt das
Datum 1819. Vermutlich stammt das erste Bild aus
dem gleichen Jahre.

Das gemalte Atelier Gerhard v. Kügelgens, von
dem Wilhelm in den „Jugenderinnerungen“ spricht,
blieb trotz aller Nachforschungen verborgen. Es galt
seit vielen Jahrzehnten verschollen, man rechuete nicht
mehr mit der Auffindung.

Nunmehr ist atrer durch eine seltene Verkcttung
glücklicher Umstände d i e A u f f 1 n d u n g d e s W e r -
k e s g e 1 u n g e n. E s w i r d a n d i e s e r S t e 11 e
z u m e r s t e n M a 1 e veröffentiicht. Dem Be-
sitzer gebührt aufrichtiger Dank, daß er seineri Schatz
wenigstens im Abbild der Öffentlichkeit zugänglich
macht. Das Original-Gemälde bereits jetzt auszu-
stellen, hindern ihn unangenehme Erfahrungen; auch
war er nicht Zu bewegen, schon heute die Erlaubnis
zur Nennung seines Natnens zu erteilen.

Das Bild ist mit Ölfarbe, jedoch lasurartig dünn,
nach Art eines Aquarells, gemalt, 1811 datiert und
trägt in verschlungenen lateinischen Majuskeln die Sig-
natur „G K“. Die Maße sind 54 : 42 cm; es ist also ein
Bild mittlerer Größe. Der Erhaltungszustand läßt zu
wünschen übrig. Sprünge durchziehen das Gemälde,
vor allen in den Schattenpartien, offenbar als Folge des
beim Malen der dunkleren Stellen mitverwendeten
Asphalts. Als Malgrund wurde Leinwand benutzt, wie
bei den meisten Innendarstellungen und Porträts Kügel-
'gens. Wilhelm hat als etwa neunjähriger Knabe den
technischen Einzelheiten damals keine solche Auf-
merksamkeit geschenkt, daß er sich ihrer im Alter noch
genau erinnert hätte. Jedenfalls beruht seine Angabe,
nach der die Bilder Kerstings s ä m 11 i c h auf Holz
gemalt seien, auf einem Irrtum. Von den unzweifel-
haft Kersting zuzuschreibenden Interieurs — das von
Waldemar von Seidlitz dem Künstler zugewiesene
„Paar am Fenster“ aus dem ehemaligen Besitz des
Fiuanzrates von Mayer-Dresden zählt m. E. nicht zu
ihnen — kenne ich nur ein einziges auf Holz gemaltes

J) Vom Verfasser der vorliegenden Abhandlung gesperrt.

Bild dieser Art von Kersting, nämlicli das Bild „Mäd-
chen, sein Haar flechtend“, das dem Schleswig-Holstei-
nischen Kunstverein in Kiel gehört.

Nun das aufgefundene Bild selbst! Ein kleiner
Raum. Ein einzelnes Fenster, halb abgeblendet, durch
dessen obere Öffnung Licht in breiter Fülle einströmt.
Der Maler sitzt vor dem Fenster, in lässiger Haltung an
seiner Staffelei arbeitend, das linke Bein auf die Quer-
leiste der Staffelei gestützt, den rechten Arm auf den
Malstock. Dem Eintretenden ist der Künstler in Drei-
viertel-Profil zugewandt. Die Gestalt fesselt ungemein.
Das schmale Gesicht zeigt edle Verhältnisse und For-
men und einen klugen Ausdruck. Es liegt jedoch in
den Zügen etwas Fremdartiges, Südländisches.
Schwarzes Haar fällt in schmalen Strähnen über die
hohe Stirn; unter schattigen Brauen leuchten zwei dun-
kel'braune Augen hervor. Die Nase lang, mit feinem
Knick. Man glaubt beim Anblick des Dargestellten
Caroline von Bardua sprechen zu hören: „C.erhard von
Kügelgen war von schlanker Gestalt, nicht über Mittel-
größe, dunklen Haaren und dunklen Augen. Der Aus-
druck seiner edlen Züge war sanft, tief melancholisch,
sein Organ etwas überschleiert, sein ganzes Wesen
ernst und voll edler Form“.2) Und man versteht ferner,
daß Wilhelm die äußere Erscheinung seines Vaters
der eines Spaniers vergleichen konnte. 3) Aber Art
und Seele dieses Mannes waren ganz deutsch. Wenu
ihm auch das Ausland lange Wohnstätte, Ruhm und
Erfolg gewährte, so hing doch sein Herz am deut-
schen Land. Sein Geist war erfüllt von deutscher Kul-
tur und Geschichte, und trotz allem Elend, das Kügelgen
täglich um sich sah, hegte er unentwegt die Hoffnung
auf eine große deutsche Zukunft.

Die Datierung des Bildes ist von außerordentlicher
Bedeutung. Sie gibt ihm einen hohen dokumenta-
rischen Wert, ja sie macht es zu einer Ouelle für die
persönliche und Zeit-Geschichte, wie nur sehr selten ein
Bild sie darstellt. Jeder Gegenstand in ilnn gewinnt
Zeitfarbe und persönlichen Charakter, läßt sich mit
Hilfe unserer geschichtlichen Kenntnisse wie der Belege
in Willielm von Kügelgens „Erinnerungen“ in den grö-
ßeren historischen Zusammenhang einordnen.

Mit Hilfe des Datums ist zunächst das Haus zu
ermitteln, in dem das Atelier lag. Die Familie vou Kii-
gelgen wohnte 1811 im „Gottessegen“, d. h. dem Bre-
lingschen Hause an der Neustädtischen Allee, „der
schönsten und freundlichsten Straße Dresdens“; bis
vor kurzem hatte sie das „Lepmannsche Haus“ „auf der
halben Gasse“ bewohnt. Oft war geplant gewesen,
wieder nach Rußland, der Heimat der Frau des Künst-

2) „Jugendleben der Malerin Caroline Bardua. Nach einem
Manuskript ihrer Schwester Wilhelmine von Bardua, herausge-
geben von Walter Sohwarz. Breslau 1874.“ Seite 96 und 97.
Walter Schwarz ist ein Pseudonym; Herausgebcr ist nach per-
sönlichen Mitteilungen an mich in Wirklichkeit Wanda von Dall-
witz, geb. Graefe.

3) Ein recht gutes Miniatur-Porträt nach Gerhard von Kügel-
gen, das ihn in jüngeren Jahren darstellt, befindet sich im Besitz
der Frau Pastor Smend in Burgsteinfurt.

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