Kunff in Qotcnbupg
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CcLvi (aeovg
A Ls ich Ende September auf einer Studienfahrt im
1 v Auftrag'e der „Nordischen Gesellschaft (Lübeck)“
die Gotenburger Ausstellung besuchte, wurde ich wie
ein seltener Vogel begrüßt. Augeblich war ich der
einzige deutsche Kunsthistoriker, der die Ausstellung
sicli ansehen konnte. — Da also die Kenntnis der dort
vorgeführten Dinge bei uns nur wenig vorausgesetzt
werden darf, lohnt sich vielleicht noch ein kurzer I3e-
richt post festum. Obgleich es sich um das 300 jährige
Stadtjubiläum liandelte (und Provinzialismen aus die-
sem Anlaß bei Auswahl und Aufmaclumg einzelner Ab-
teilungen unvermeidlich waren), ist bildender Kunst
eine betonte Wichtigkeit beigemessen worden, und
auch die Gesamthaltung des großen Ausstellungskom-
plexes darf Anspruch maclien auf sehr ernsthafte Wür-
digung mit künstlerischen Maßstaben. Zweierlei wird
man sich fragen, um durch ordnende Gesichtspunkte
aus der bedrängenden Vielheit Wesentliches herauszu-
schälen: was ist spezifisch schwedisch (resp. nordisch
schlechthin) und was kann für Deutschland anregend
oder gar vorbildlich sein? Auf beide Fragen gibt die
Ausstellung Antworten von nicht unbeträchtlichem In-
teresse.
Bjerde und Ericson, die beiden leitenden Archi-
tekten, sind nicht unabhängig vom allgemeinen archi-
tektonischen Zeitgeschmack: Asiatisches und eine er-
hebliche Dosis Kiassizismus verbinden sicli vornehm
unaufdringlich mit dem überall beherrschenden Prinzip
zweckmäßiger Raumgestaltung. I>as ansteigende und
verzettelte Gelände bot große Schwierigkeiten, die
durch klare Anordnung vorbildlich gelöst sind. Zwei
Minarete und eine Tempelfassade sind die Ruhepunkte
ftirs Auge — nicht gerade originell erfunden, aber an-
genehm die Baufläche ordnend. Auffallend ist der
Mangel (mit ganz wenigen Ausnahmen) sclnnückender
Dekorationsdetails und farbiger Belebung. Ruhige
Flächen und Anstrich in Weiß, Schwarz und etwas
Gold bestimmen den Eindruck. Das Ganze wirkt da-
durch ein wenig kahl, da alrer die Absicht spürbar wird,
zugleich einheitlich und klar. Der bei uns so beliebte
s.tarkfarbige Anstrich scheint überhaupt als deutsche
Versclirobenheit verpönt zu sein. Das fällt besonders
auf bei der nüchternen, aber sicher gegliederten Auf-
stellung des alten Kunstgewerbes (Abteilung für alte
I landwerkskultur), die, sehr entgegengesetzt unserer
neuesten deutschen Museumsmode, mit sparsamer
Reihung vor neutralem Hintergrunde Wirkungen erzielt
hat, die eindringlich aufs Einzelkunstwerk hinleiten.
Vielleiclit am weitesten getrieben (aber zugleich am
eindruckvollsten) ist die klassizistische Nüchternheit bei
dem großen Kunstausstellungsgebäude, das den Haupt-
eingang entscheidend schon von der Anfahrtstraße aus
bestimmt und das als neues Heim für die ständige Ge-
Heisestübcck
mäldegalerie dauernd bestehen bleiben wird. Es
schließt mit einer gleichförmigen schmalen Bogenstel-
lung, etwas bahnhofsmäßig den neugeschaffenen Göta-
Platz ab und wird vielleicht noch stärker wirken, wenn
die von den gleichen Architekten geplanten öffent-
lichen Gebäude (darunter ein Theater) das Museum
seitlich begrenzen werden. Nach Vollendung dieser
großartigen, für Göteborgs Stadtbild äußerst wichtigen
Platzanlage und nach endgültiger Einrichtung des Mu-
seums wird erneut von diesem Kunstzentrum der Stadt
zu reden sein.
Die Kunstausstellungen selbst sind recht umfas-
send: Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland
haben eigene Abteilungen, dazu das Gebäude der
schwedischen „Slöjdföreningen“, die vielleicht quali-
tätvollste Raumgruppe. Es ist das nicht hoch genug
einzuschätzende Verdienst Axel Romdahls, des Goten-
burger Museumsleiters, gegen unerhörte Anfeindungen
den leitenden Gedanken durchgesetzt zu haben: nicht
alle schwedischen Künstler in ermüdender Gesamt-
schau nebeneinander zu zeigen, sondern eine streng ge-
sichtete Auswahl aus den vier nordischen Reichen und
diese Auswahl nicht nach Rulnn und Alter, sondern
einzig unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung für das
künstlerische Leben der Gegenwart zu treffen. Selten
geht bei einem der ausstellenden Künstler das Geburts-
datum weiter als bis in die achziger Jahre zurück —
außer bei den Meistern mit Sonderkollektionen —
Milles, Munch, Willumsen — und den Gesamteindruck
bestimmen die Dreißigjährigen. Was also gezeigt wird,
gibt den vollgültigen Ausdruck dessen, was heute im
Norden wahrhaft jung und lebendig ist, das aufnehmen
und den Anteil der Nationen gegeneinander abwägen zu
können, dazu w'ird so leicht nicht wieder eine beque-
mere Gelegenheit geboten werden.
Schweden hat vielleicht am sorgfältigsten ausge-
wählt, obgleich der Eindruck nicht der stärkste ist.
Sehr geschickt ist die bei diesem besonderen Anlaß
meist berechtigte „Västsvensk Konst“, d. h. also Lokal-
künstler von Gotenburg u-nd Umgegend, gesondert ge-
hängt, um das schwedische Gesamtbild nicht ungebühr-
lich zu belasten — und zu verwässern. Hier fallen nur
zwei Sonderlinge auf: der archaisierende Ole Kruse
und sein ungleich bedeutenderer, früh verstorbener
Schüler Arosenius, ein Gedankenmaler Welt’i’scher Art,
ein feines Illustrationstälent und, bei kleinem Format,
ein Bildnisgestalter von suggestiver Kraft. Sein Selbst-
bildnis mit einem Blütenkranz im Haar im Besitz des
Nationalmuseums in Stockholm stellt ihn vollwertig in
die Reihe nordischer Traumweltmeister. In der allge-
meinen schwedischen Abteilung stehen sieben Künstler
etwa auf gleicher Rangstufe. Isaac Grünewald, seine
Frau Sigrid Hjerten-Grünewald, Leander Engström,
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A Ls ich Ende September auf einer Studienfahrt im
1 v Auftrag'e der „Nordischen Gesellschaft (Lübeck)“
die Gotenburger Ausstellung besuchte, wurde ich wie
ein seltener Vogel begrüßt. Augeblich war ich der
einzige deutsche Kunsthistoriker, der die Ausstellung
sicli ansehen konnte. — Da also die Kenntnis der dort
vorgeführten Dinge bei uns nur wenig vorausgesetzt
werden darf, lohnt sich vielleicht noch ein kurzer I3e-
richt post festum. Obgleich es sich um das 300 jährige
Stadtjubiläum liandelte (und Provinzialismen aus die-
sem Anlaß bei Auswahl und Aufmaclumg einzelner Ab-
teilungen unvermeidlich waren), ist bildender Kunst
eine betonte Wichtigkeit beigemessen worden, und
auch die Gesamthaltung des großen Ausstellungskom-
plexes darf Anspruch maclien auf sehr ernsthafte Wür-
digung mit künstlerischen Maßstaben. Zweierlei wird
man sich fragen, um durch ordnende Gesichtspunkte
aus der bedrängenden Vielheit Wesentliches herauszu-
schälen: was ist spezifisch schwedisch (resp. nordisch
schlechthin) und was kann für Deutschland anregend
oder gar vorbildlich sein? Auf beide Fragen gibt die
Ausstellung Antworten von nicht unbeträchtlichem In-
teresse.
Bjerde und Ericson, die beiden leitenden Archi-
tekten, sind nicht unabhängig vom allgemeinen archi-
tektonischen Zeitgeschmack: Asiatisches und eine er-
hebliche Dosis Kiassizismus verbinden sicli vornehm
unaufdringlich mit dem überall beherrschenden Prinzip
zweckmäßiger Raumgestaltung. I>as ansteigende und
verzettelte Gelände bot große Schwierigkeiten, die
durch klare Anordnung vorbildlich gelöst sind. Zwei
Minarete und eine Tempelfassade sind die Ruhepunkte
ftirs Auge — nicht gerade originell erfunden, aber an-
genehm die Baufläche ordnend. Auffallend ist der
Mangel (mit ganz wenigen Ausnahmen) sclnnückender
Dekorationsdetails und farbiger Belebung. Ruhige
Flächen und Anstrich in Weiß, Schwarz und etwas
Gold bestimmen den Eindruck. Das Ganze wirkt da-
durch ein wenig kahl, da alrer die Absicht spürbar wird,
zugleich einheitlich und klar. Der bei uns so beliebte
s.tarkfarbige Anstrich scheint überhaupt als deutsche
Versclirobenheit verpönt zu sein. Das fällt besonders
auf bei der nüchternen, aber sicher gegliederten Auf-
stellung des alten Kunstgewerbes (Abteilung für alte
I landwerkskultur), die, sehr entgegengesetzt unserer
neuesten deutschen Museumsmode, mit sparsamer
Reihung vor neutralem Hintergrunde Wirkungen erzielt
hat, die eindringlich aufs Einzelkunstwerk hinleiten.
Vielleiclit am weitesten getrieben (aber zugleich am
eindruckvollsten) ist die klassizistische Nüchternheit bei
dem großen Kunstausstellungsgebäude, das den Haupt-
eingang entscheidend schon von der Anfahrtstraße aus
bestimmt und das als neues Heim für die ständige Ge-
Heisestübcck
mäldegalerie dauernd bestehen bleiben wird. Es
schließt mit einer gleichförmigen schmalen Bogenstel-
lung, etwas bahnhofsmäßig den neugeschaffenen Göta-
Platz ab und wird vielleicht noch stärker wirken, wenn
die von den gleichen Architekten geplanten öffent-
lichen Gebäude (darunter ein Theater) das Museum
seitlich begrenzen werden. Nach Vollendung dieser
großartigen, für Göteborgs Stadtbild äußerst wichtigen
Platzanlage und nach endgültiger Einrichtung des Mu-
seums wird erneut von diesem Kunstzentrum der Stadt
zu reden sein.
Die Kunstausstellungen selbst sind recht umfas-
send: Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland
haben eigene Abteilungen, dazu das Gebäude der
schwedischen „Slöjdföreningen“, die vielleicht quali-
tätvollste Raumgruppe. Es ist das nicht hoch genug
einzuschätzende Verdienst Axel Romdahls, des Goten-
burger Museumsleiters, gegen unerhörte Anfeindungen
den leitenden Gedanken durchgesetzt zu haben: nicht
alle schwedischen Künstler in ermüdender Gesamt-
schau nebeneinander zu zeigen, sondern eine streng ge-
sichtete Auswahl aus den vier nordischen Reichen und
diese Auswahl nicht nach Rulnn und Alter, sondern
einzig unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung für das
künstlerische Leben der Gegenwart zu treffen. Selten
geht bei einem der ausstellenden Künstler das Geburts-
datum weiter als bis in die achziger Jahre zurück —
außer bei den Meistern mit Sonderkollektionen —
Milles, Munch, Willumsen — und den Gesamteindruck
bestimmen die Dreißigjährigen. Was also gezeigt wird,
gibt den vollgültigen Ausdruck dessen, was heute im
Norden wahrhaft jung und lebendig ist, das aufnehmen
und den Anteil der Nationen gegeneinander abwägen zu
können, dazu w'ird so leicht nicht wieder eine beque-
mere Gelegenheit geboten werden.
Schweden hat vielleicht am sorgfältigsten ausge-
wählt, obgleich der Eindruck nicht der stärkste ist.
Sehr geschickt ist die bei diesem besonderen Anlaß
meist berechtigte „Västsvensk Konst“, d. h. also Lokal-
künstler von Gotenburg u-nd Umgegend, gesondert ge-
hängt, um das schwedische Gesamtbild nicht ungebühr-
lich zu belasten — und zu verwässern. Hier fallen nur
zwei Sonderlinge auf: der archaisierende Ole Kruse
und sein ungleich bedeutenderer, früh verstorbener
Schüler Arosenius, ein Gedankenmaler Welt’i’scher Art,
ein feines Illustrationstälent und, bei kleinem Format,
ein Bildnisgestalter von suggestiver Kraft. Sein Selbst-
bildnis mit einem Blütenkranz im Haar im Besitz des
Nationalmuseums in Stockholm stellt ihn vollwertig in
die Reihe nordischer Traumweltmeister. In der allge-
meinen schwedischen Abteilung stehen sieben Künstler
etwa auf gleicher Rangstufe. Isaac Grünewald, seine
Frau Sigrid Hjerten-Grünewald, Leander Engström,
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