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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Januar
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Sauerlandt, Max: Jacob Asmus Carstens
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0142

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Jacob Asmus C-arstens, Helena und die trojanischen Greise.
Weimar, Landesmuseum

mehr, und — im eigentlichen Sinne — keine Schüler.
Diese Akademien gleic'hen Staatscarossen mit zwanzig
Rädern . . . Vielleicht ist bloß die Befriedigung der
Eitelkeit derer Regenten, sich dadurch das Ansehen zu
geben, als täten sie Wunder für die Künste der Zweck
der Akademien . . . Es ist einem Monarchen soviel Ehre
fiir die Nachwelt ein Genie unterstützt, als eine Schlacht
gewonnen und Provinzen erobert zu haben . . . Übri-
gens muß ich Euer Excellenz sagen, daß ich nicht der
Berliner Akademie, sondern der Menschheit angehöre,
die ein Recht hat, die höchstmögliche Ausbildung
meiner Fähigkeiten von inir zu verlangen . . . Mir sind
meine Fähigkeiten von Gott anvertraut. Ich muß dar-
über ein gewissenhafter Haushalter seyn. Damit, wenn
es heißt: tue Rechnung von Deinem Haus'halten, ich
nicht sagen darf: Herr! ich habe das Pfund so du mir
anvertraut, in Berlin vergraben.“ —

Um zu einer präziseren Stilbestimmung der Zeich-
nungen Carstens zu gelangen, wird man zunächst den
Punkt aufsuchen müssen, von dem er ausging. Seine
Kunst ist ein Protest gegen den „Vignettenkram“ der
klassizierenden Louis Seize-Zeit, gegen „die geleckten
Blätter in punktierter Manier“, wie August Wilhelm
Schlegel sich gelegentlich ausdrückt, gegen die senti-
mentalen Illustrationskupfer des Chodowieckigenres,
denen allen gegenüber Carstens in der Tat auf den
höheren absoluten Kunstgehalt seiner Kompositionen
hinweisen durfte, trotz der für unser Empfinden freilich
bisweilen übermäßigen Beschwerung derselben mit
literarischem Ballast.

Weiter aber ist seine Kunst dann auch ein Protest
gegen das Pathos der modernen Franzosen aus der
Nachfolge Davids, der selbst Rom schon im Jahre 1780
wieder verlassen hatte. Ihnen mußte Carstens, weni-
ger gerecht, die Ehrlichkeit der Empfindung absprechen,
weil wirklich von seiner Art der Darstellung keine
Brücke zu der ihren führte. Es scheint, schreibt er bald
nach seinem Eintreffen in Rom mit Bezug auf die fran-
zösische Akademie auf dem Pincio, diesen Künstlern
nie eingefallen zu sein, daß die Kunst eine Sprache der

Empfindung ist, die da anhebt, wo der Ausdruck mit
Worten aufhört. Wenn es aber dann ferner heißt „ge-
dankenlosere Malereien sind mir noch nie vorgekom-
men“, so wird man sich doch hüten müssen, diesen
Tadel, der sich zunächst allein auf einen Mangel an
Kunstgedanken bezieht, auf einen Mangel in der Erfin-
dung des Sujets zu beziehen. Man mag sich dabei
eine'r Replik Philipp Otto Runge’s erinnern, der auf das
wolhgemeinte Kompliment, daß er „recht ein denkender
Künstler“ sei mit der Frage reagiert, „Curios! Ob es
auch wohl nicht denkende dergleichen giebt?“ —

Es liegt nahe, Carstens Kompositionen mit den
Umrißzeichnungen John Flaxman’s zu Homer, Aeschy-
lus und Dante zu vergleichen, die im Jahre 1793, in dem
Ja'hre nach Carstens Ankunft in Rom also, von Tom-
maso Piroli gestochen erschienen.U Ihre Kenntnis ist
bei Carstens mit Bestimmtheit vorauszusetzen, obwohl
Fernow die wichtige Angelegenheit ganz mit Still-
schweigen übergeht. Der Vergleich ist darum so lehr-
reich, weil die beiden Künstler im äußerlich so nahe
verwandten Genre sich als die vollendeten Gegensätze
erweisen, was ganz freilich nur aus den Originalzeich-
nungen selbst zu ersehen ist.

Der große Reiz der Flaxman’schen Umrisse liegt
wesentlich darin, daß sie nichts anderes sind, nichts
anderes sein wollen, als reine linienhaft wirkende Fi-
gurenornamente, denen das gewollt Primitive des Li-
nienzuges, die beabsichtigte und wirklich originelle
Lockerheit der Figurendisposition, am liebsten in ein-
fach zugmäßiger Kettenreihung einen besonderen Ge-
schmack von künstlerischer Feinheit gibt. Flaxman mit
einem Worte komponiert ganz flächenhaft ornamental.

Umgekehrt drängt Carstens überall, und je später
um so mehr, zu geschlossener räumlicher Vertiefung,
zur Darstellung dramatisch konzentrierter Handlungen,
deren Bedeutung aus der Konfiguration und der Gebär-
densprache der Bildkomponenten dem Auge von selbst
sich erklären soll. Flaxman komponiert rhythmisch
fortschreitende Zugbewegungen am liebsten und voll-
kommensten, Carstens Lebenselement ist die eng ge-
fügte Gruppenbildung, die geschlossene Füllung der
zum Raume vertieften Bildfläche, die gedrängte Häu-
fung der Figuren zu geschlossenen Reihen und Massen
von stets reifer Bildung der Einzelform. Ihm war
offenbar die volle runde Plastik der Gestalt die pri-
rnäre Form künstlerischer Anschauung, und dieses an-
geborene Bedürfnis allseitigen sinnlichen Begreifens
überträgt sich ihm auf die Gesamtkomposition, deren
Einzelfiguren gewissermaßen nur die Bedeutung von
Gliedern eines größeren Organismus haben. Das
Ganze einer Komposition stand ihm von früh an nach
eigenem Geständnis fest, bevor er sich noch Rechen-
schaft über die Form des Einzelnen zu geben ver-
mochte. Die Vorzüge wie auch die Mängel seiner Kunst,
finden in dieser Methode künstlerischer Bildproduktion
ihre Erklärung, und es ist nur folgerichtig, daß Carstens

b Vgl. Max Sauerlandt, John Flaxman. Zeitschrift für
bildende Kunst. Neue Folge XIX. S. 189 ff.

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