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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

DOI issue:
1./2. Februar
DOI article:
Röttger, Bernhard Hermann: Neue Graphik: der Radierer Adolf Schleicher
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0176

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fest umrandete Landschaften; Ausblicke auf irkrend ein
Stück deutscher Erde, das wohl irgendwo so sein kann
und das doch gewiß nirgends so ist. Ausblicke eines
Auges, das an der Erde wenig mehr den realen Gegen-
stand sieht, sondern ein Stück Welt, den Kosmos. Man
dtirfte kaum fe'hlgehen, wenn man Schleichers Gedan-
ken in der Nähe von Hermann Lotze sucht, insofern
dieser einmal schreibt: „das wahrhaft Wirkliche, das
ist und sein soll. ist nicht der Stoff und noch weniger
die Idee, sondern der lebendige, persönliche Geist Got-
tes und die Welt persönlicher Geister, die er geschaffen
hat. Sie allein sind der Ort, in welchem es Gutes und
Güter gibt; für sie ailein besteht die Erscheinung einer
ausgedelmten Stoffwelt, durch deren Formen und Be-
wegungen sich der Gedanke des Weltganzen der An-

Bild taucht vor uns auf, leibhaftig, mit Baum und Wald
und Beng, mit Tiefe und Luft, groß im Schwung der be-
herrschenden Linien, groß in der Vermeidung alles Un-
nötigen.

Die C. a 1 e r i e C a s p a r i i n Münc'hen hat
kürzlich eine größere Anzahl von Schleichers Radie-
rungen, die aus den letzten zwei bis drei Jahren stam-
men, zur Ausstellung gebracht. Daß nicht auch wenig-
stens einige Zeichnungen vorgeführt wurden, muß man
lebthaft bedauern; zeigen diese doch gereifte Eigen-
schaften des Künstlers, wie Sicherheit des Stric'hes und
der Erkenntnis des künstlerisch Wirksamsten, ausge-
prägten Sinn für schöne Geschlossenheit der Darstel-
lung, geordnetes Sichversenken in das Naturwalten,
geistvolle Verteilung von Hell und Dunkel, klarer auf

Adolf Schieicher, Die weiße Wand, Zeichnung

schauung jedes endlichen Geistes zu seinem Teile ver-
stdndlich rracht." Ausblicke auf Lan'dschaft sagten wir;
wir setzen ergänzend nun hinzu: Einblicke in die Land-
schaft, gesehen durch eine kosmische Weltanschauung.
Zweifellos haben auf Adolf Schleicher alte chinesische
Farbholzschnitte eine starke Wirkung ausgeübt. Die
Eindringlichkeit aber, mit der diese, und andere, Anre-
gungen aufgenommen wurden, die Selbständigkeit des
Schaffens, obgleich es von solcher Reception befruchtet
wurde, ist allen Lobes wert.

Die bisher reinste Vorstellung von Schleichers
Kunst geberi die Zeichnungen. Sind auch sie wiederum
keineswegs gleichwertig, so sind doch die besten unter
ihnen trefflich. E'n paar streng durchdachte Striche mit
schwarzer Kreide iiber altes Büttenpapier — und ein

als die Radieiungen, wo die reichliche Mülisal der I ech-
nik öfters noch kleine Unstimmigkeiten mit sich bringt,
sei es, daß der Aneinanderklang von Vordergrund und
Tiefe nicht ganz rein ist, sei es, daß ein Teil des einzel-
nen Blattes vergleichsweise schwach erscheint oder
ein süßlicher Ton in der Farbe die Bedeutsamkeit des
Ganzen schmälert.

Über die Gefahr, ins kunstgewerblich dekorative
zu geraten, ist Scbleicher unseres Erachtens so ziemlich
hinaus. So wird er wohl auch an einer anderen Klippe
mannhaft vorübersteuern, an jenem lockenden Phan-
tom, das wie ein geistvoller Einfall aussieht und schließ-
lich doch leer ist. Wer den interessanten Künstler
kennen gelernt hat, erwartet neue Schöpfungen von
ihm mit besonderer Teilnahme.

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