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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

DOI issue:
1./2. Märzheft
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Justi, Ludwig: Slevogts Cladower Wandmalereien in der Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0207

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damit sie nicht wegfliegt, ein schlankes fast durchsich-
tiges Körperchen, 'blau mit griinen Glanzlichtern, sie ist
nämlich aus Glas! und der Meister dachte sioh das
merkwürdige Figürchen im Garten wirklich aus Glas
hoch aufgestellt und dann sollte es sich im Wind drehen
wie die goldene Kollegin am Canal grande. Ihr benach-
bart das Feuer, ein brauner Kerl mit roten Lichtern, die
scharfe Bewegung wie eine Erinnerung an einen be-
kannten Slevogt-Sammler. Gegenüber die stämmige
Erde, Friedenserde, starkgeründete Füllhörner und
Brüste in Armen und Händen bergend; und dann im
Kontrast zu i'hr ein prustender Nickelmann mit Grün-
spanlichtern, am kecksten die Wand durchbrechend.
Also sogar etwas Gegenständliches, die vier Elemente!
Auf den Sockeln reizende kleine Figurenspiele, in Be-
ziehung zu den großen Gestalten; ähnlich be'i den
reichfarbigen Stilleben darüber, Blurnen, Früchte, Schilf
mit leuchtend roten Korallen. Zwischen je zwei Ele-
menten ein Pilaster, wieder dunkelgrün mit gläsernem
Geglitzer, aber anders als an der Hauptwand, hier
keine Kränze, wohl wegen jener Gehänge oben, sondern
das Glas hocb hinauf gezogen, kleine Kerlchen klettern
daran herum und treiben allerhand Spiel.

Dann kam das Schlimme: die Decke; kassettiert,
mußte also auch bemalt werden. Der Meister wollte
sich nicht hinlegen, wie einst Michelangelo, malte im
Stehen, verrenkte sich den Kopf, und manche Farb-
tropfen verstanden ihn nicht, strebten durch seine
Ärmel zum Mittelpunkt der Erde. Auch hier das leuch-
tende Blau, nun als verschieden tiefer Ton des Himmels,
darauf allerhand Seltsames iin schräger Untersicht: be-
wegte Gestalten, geschlossene gelbliche Flächen, wie-
derum I eile der Putzfarbe, in reich geschwungenen
Umrissen, zusammengehend mit dem ruhigen gelblich-
weißen Ton der Deckenbalken: eine Erweiterung des
zuerst im Mittelstück fast zufällig Entstandenen. Links
brauchte er einen roten Fleck: Dame mit Sonnen-
schirm spazierend. Rechts Schwefelgelb: nacktes Weib
mit Fackeln einherstürmend. Ein Fuchs soll im Park
sein — da erscheint er mit seinem Raub an der Decke.
Ein Pfau stolziert im Garten — Juno mit dem Pfauen-
gespann.

Über den drei Wänden ein Unterzug, in der gelb-
lichen Putzfarbe. Und wie an großen Barockarchitek-
turen aufstrebende Formen oben in bewegten Gestalten
von Heiligen oder Allegorien ausklingen, so hier die
dunklen Teilungen der Pilaster in mancherlei Getier,
Kakadu, Eichhörnchen, Nashornvogel, weiße Affen,
deren wohlgeschwungene Sc'hwänze keck über die Pro-
file herunterbaumeln, wie die Beine 'höher entwickelter
Wesen 'in Sant’Andrea della Valle — alles offenbar aus
leichter Laune hingeworfen und doch in feinster Be-
ziehung der Farbe und des Gewichts zu allem Übrigen.

Gewiß keine Einheit in irgend welchem lehrhaften
Sinn, nicht im Inhalt, nicht im Maßstab, nicht im ge-
dachten Raum, nicht in der Beziehung zur Fläche; aber
eine köstliche Einheit erstens im Werden, im Vorgang
des Schöpferischen: die spielende Laune setzt nirgends

aus, ist immer gleich lebendig, die Einbildungskraft
zaubert aus den verschiedenerlei Vierecken und aus al-
lerhand Cladower Eindrücken wundersamen Schmuck,
und jeder Einfall ist schon in der Entstehung zugleich
Malerei, Linienspiel oder Farbengegaukel, hingesprü'ht
mit der vollkommenen Souveränität eines begnadeten
Meisters. Überall lächelt es und tanzt und lockt vom
einen zum anderen, und wir denken an Mozart, den Sle-
vogt, der musikalische, so liebt. Und wie im quellenden
Spiel der Mozartischen Melodienfülle doch das strenge
Gesetz waltet, so ist es hier: bei aller scheinbaren Un-
gebundenheit der strömenden Einfälle eine vollendete
Klarheit des Rhythmus, wie wir es vorhin schon an-
deuteten; Rhythmus der manc'herlei malerischen Ver-
fahren, von der Umrißandeutung zum perlenden Ge-
glitzer, vom Flecken-Gesprenkel zur geschlossenen
Farbe; Flächigkeit und Räumlichkeit, Relief und
Rundheit, Silhouette und Block. Und Rhythmus der
Farbe, Grund und Zier, der Putzton mannigfach geist-
reich verwendet, als tragende oder ausgesparte Farbe,
große blaue Flächen dagegen gestellt in verschiedenen
Abmessungen und Abstufungen. Der Grundakkord im
Mittelstück angesohlagen: der gel'bliche Mörtel und das
Koschmiedersche Blau — aus diesem halb und halb Ge-
gebenen ist das farbige Gesetz des Ganzen frei und
leicht entwickelt. Man sieht wie das Weißbinder-Blau
auf der Palette des Künstlers sich verfeinert, lebendig
wird, ebenso das Gelb, wie die Ziegelfugen in Bewe-
gung geraten und wie die zarten tektonischen Teilungen
zu malerischen Kräften werden. Im grunde die gleichen
Gesetze der farbigen Raumbelebung wie bei klassischen
Wandmalereien früherer Jahrhunderte, nur hier statt
des maestoso im tempo di Menuetto. Und über das all-
gemeine Gefüge klarer Kontraste hinaus das reichste
Spiel der Beziehungen alles Einzelnen, wie Bälle hin
und her, immer neues taucht auf und verbindet sich,
widerspricht, ergänzt, steigert sich, rechts und links,
oben und unten, bis ins Feinste.

Ein Werk ohne Anspruch, ohne vorbedachten Plan,
ohne den „großen Atem“ anderer Wandmalereien, aber
aus hoher Begabung in glücklichster Stimmung gewor-
den, und darum so einzig.

Einzig auch im Schaffen dieses Meisters und seiner
Generation. Idamals lehrte man, Kunst sei Wiedergabe
einer Ecke Natur, gesehen durch ein Temperament.
Slevogt hat, wie die anderen, Landschaften, Stilleben,
Bildnisse nach der Natur gemalt, 'köstlich gemalt, aber
seine Einbildungskraft, ihre Leiohtigkeit, ihr Reichtum,
fand darin kein Feld der Betätigung, suc'hte es sich in
Zeichnungen, Bildschmuck zu Büchern, am glücklich-
sten wohl zu einem Notenbuch, Mozarts Zauberflöten-
Handschrift. Guthmanns Verdienst ist es, dem Meister
Gelegenheit, Anregung, Stimmung zu diesem Wand-
schmuck gegeben zu 'haben, der seine Begabung so
funkeln läßt. Andere Kunstfreunde mit viel Wänden
haben sich fertige Bilder gekauft; auch gut, doch Guth-
mann tat noch besser.

Ohne vorbedachten Plan, ohne Anspruch — aber
freilich auch ohne handwerkliche Vorbereitung, Sehr

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