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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Märzheft
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Justi, Ludwig: Slevogts Cladower Wandmalereien in der Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0210

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ken wurden von der Holzmann A. G. überwunden,
Träger eingezogen. Aber die Mauern durften nicht die
'J'reppe hinauf, nicht aus dem Lot gebracht werden.
Also ein gewaltiges Gerüst im Hof, neben den
Drahtverhau-Vorräten der Schupo, oben ein entspre-
chendes Riesenloch, dann die balken-umklammerten
Mauer-Ungetüme zentimeterweise hochgewunden, ins
Innere gewuchtet. Hier wurde noch allerhand mit den
Ungetümen versucht, die Seitenwände etwas schräg ge-
stellt, auch die Decke schräg, aber dies wieder aufge-
geben. Mitte Januar stand die Halle, neuer Fußboden
mit zwei Stufen. Und das Ganze hat — hoch Holz-
mann! — noch nicht soviel gekostet wie ein mittel-
großes Ölgemälde von einem unserer berühmten
Meister.

Die Einrahmung nach vorn habe ich weggelassen:
die beiden Säulen, die Anten rechts und links, den
Unterzug oben; einmal damit man das Ganze frei
iiberblicke — früher mußte man erst hinein gehen,
und es konnten nur wenige Menschen im Innern stehen
und dann nur Einzelnes aus der Nähe betrachten —
und vor allem damit die Schatten dieser breiten
Rahmenteile wegfielen und so auch an trüben Tagen
noch Licht genug einströme.

Die Halle stand — aber noch waren die gemalten
Flächen beklebt, schon im zweiten Semester. Meine
Freunde zitterten. Slevogt kündete seine Ankunft in
Berlin an. Nach einer Atempause von etwa vierzehn
Tagen kam der große Augenblick. In Anwesenheit des
Meisters und mehrerer Sachverständiger wurde, eines
Montags um zehn, die Enthüllung begonnen. Chemika-
lien wurden verschmäht, «piatov psv üSwp! Jemand stift-
tete eine Gartenspritze. Einiges löste sich bald, anderes
suchte uns vergeblich aus der Ruhe zu bringen. Der
Heizer des Kronprinzen-Palais, in umgekehrter Funk-
tion, spritzte unablässig das kalte Wasser. Abends um
acht war der Widerstand gebrochen, Slevogt lag frei.
Und — nochmals: heil Holzmann! — nichts passiert,
kein Sprünglein in den Wänden und Kassetten. Die
Putzflächen der vier Pilaster, schon vorher locker, weil
zu schwer aufgetragen, wurden im Hinblick auf die Zu-
kunft mit Gipsdübeln festgemacht, an Stellen, die vom
Meister nicht berührt waren.

Freilich, so wie Slevogt die Wände einst gemalt
hatte, sehen sie nicht mehr aus. Das Wetter hatte ihnen
bös mitgespielt, und Casein wird auch von Pilzen an-
gefressen. Guthmanns Nachfolger in Cladow hat
den angrenzenden Stall, früher leer, mit Rennpferden
besetzt, edle Tiere sinds, aber doch Ammoniak produ-
zierend. Schon gleich nach Guthmanns Angebot ließ
ich mir von ihm und Slevogt schriftlich geben, daß die
Malereien in Cladow rettungslos zu grunde gingen. Be-
sonders die Seitenwände, Mauerreste der uralten
Soheune, hatten arg gelitten.

Da hat nun der Meister selbst geholfen, das Schad-
hafte an besagten Seitenwänden munter übergangen.
Dies war mir eine Art Lolm für die ausgestandenen
Sorgen von vier Jahren, denn ich durfte zusehen, und
das gehört zu meinen köstlichsten Erlebnissen: der

stämmige Mann behaglich über die Fläche hinspielend,
den spitzen Pinsel gleichsam tänzerisch schwingend,
oder auch wie in einem kleinen rokokohaften Bom-
bardement geschwinde geschwinde auf die Wand
lostupfend, man versteht gar nicht was dies fiebrig
rasche Umherpieken soll, und dann sieht man auf einmal
wie die Wand lebendig wird und etwas reizendes da
steht; froher Laune ist er dabei, und dann wieder
spannen und versteinern sich die reich geschwungenen
Linien seines mächtigen Kopfes und er schießt plötzlich
wie mit einem Dolch auf irgend eine Stelle los.

AIso die Seitenwände sind zu großen Teilen stark
übergangen, immerhin von Slevogt, und nur soweit,
daß sie zum Ubrigen stimmen, nicht auf Neu gemalt.
Hauptwand und Decke unberührt. Das Ganze stark
verwittert und ziemlich abgeblasst. Aber dadurch ist
die Erscheinung nicht schlec'hter geworden, die Farben
sind köstlich zusammen gewachsen, der Malkörper, aus
der Nähe gesehen, hat überall den unbeschreiblichen
Zauber, den man sonst nur bei alten Wandmalereien
genießen kann, jenes oft Geheimnisvolle des chroma-
tischen Ineinander der Töne, die Auflockerung der
Flächen durc'h das Ausspringen zahlreicher Körnchen
des harmlos hingeputzten Mörtels, wundersam spielen
die Farben über solche Unebenheiten; und die Pinsel-
züge wirken gleichsam entmaterialisiert, weil ihr ohne-
hin dünner Caseinkörper noch zu einer Art Astral-
Casein geworden ist. Dies ist übrigens nicht schlechter
Geschmack des Kunsthistorikers, sondern Slevogt
selbst ist entzückt von der Umdichtung seines Ge-
dichtes durch die Havelböen und die Rennpferde. Wer
sehen will, wie frisch bewahrtes Malwerk von Slevogt
aussieht, hat dazu im Kronprinzen-Palais Gelegenheit.

Die Halle steht vor dem Eingang zum Studiensaal
unserer Zeichnungen-Sammlung, als Fanal der Frische,
Leichtigkeit und Unbekümmertheit, die dort in den
Mappen des Betrachters harren; und in der frei geblie-
benen Hälfte des ehemaligen Speisesaals ist ein Kabi-
nett gezimmert — alles nur eingeklemmt, kein Nagel ist
in die ehemalige Prunkausstattung geschlagen — an
dessen Wänden achtzehn Zeichnungen von Slevogt
hängen, nicht auf den üblichen großen gelblich-weißen
Kartons aufgelegt, weil das der einen Grundfarbe der
Wandmalereien die Kraft nehmen würde, sondern in
eng anschließenden Goldrähmchen; die Kabinettflächen
mußten entsprechend klein gestaltet werden. Die Ein-
rahmung und Umgebung der Halle wurde nach vielerlei
Proben mit Slevogts Hilfe durchgebildet.

So zeigt sich hier jetzt dieser Meister von einer
Seite, die in Gemälde-Sammlungen sonst nicht hervor-
treten kann. Die National-Gälerie ist um ein ganz ein-
zigartiges Werk bereichert, das nuu den Besucher der
Sammlung darauf hinweist, was eigentlich der Ur-Sinn
der Malerei ist: Wände zu beleben — wie es bei den
Alten und bei den Gotikern war, während das Bemalen
von Leinwänden, die man in Gold rahrnt und an einen
Nagel hängt, erst eine spätere Erfindung ist. Und wenn
man die Wandbilder drüben im alten Hause vergleichen
will, aus der Casa Bartholdy, so findet man grundsätz-

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