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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Aprilheft
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Bode, Wilhelm von: Die Sintflut der deutschen Italien-Kunstreisenden
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0236

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allein vom Berliner Kunsthistorischen Seminar fünf-
zehn Studierende dorthin unterwegs sind. Werden die
Kunststudien aber dadurch gefördert werden? Wird
nicht vielmehr gerade die Yerflachung des Studiums
der Kunstgcschichte bei diesen Kunstjüngern auf so'l-
cher ersten Reise ins „Paradies der Kunst“, die sie in
3—4 Wochen, den Lockruf Mussolinis folgend, durch
ganz Italien bis Palermo aus'dehnen, die Folge sein?
Solche Fahrten sind doch fast reine Cook-Reisen; sie
werden gewiß den Meisten Freude an der Kunst Italiens
einbringen, aber die wird hööhstens dazu reichen, sie
nooh mehr zum Abschwenken in den Kunsthandel und
in das Kunstschiebertum zu verführen, wie es beinahe
bei hundert Kunsthistorikern seit Anfang des Krieges
der Fall ist. Dazu ist aber das Studium der Kunstge-
schichte nicht als vollberechtigte Wissenschaft an allen
Universitäten eingeführt, ist die Doktorprüfung in
Kunstgeschichte zugelassen worden! Wenn heute 50
oder mehr Studierende jährlich den kunsthistorischen
Doktor machen, während jetzt sicher nicht melir als
der zehnte Teil von ilinen im Laufe eines Jähres auf
eine Ausstellung als Dozent der Kunstgeschichte oder
als Museumsbeamter rechnen kann, so muß von staats-
wegen dagegen Stellung genommen werden: durch
Ersohwerung des kunsthistorischen Doktors, durch Be-
schränkung der Absotvierung desselben auf wenige
Universitäten und durch Einschränkung der Dozenten
und der Museumsbeamten, namentlich in den Städten.

Daß die Freude an der Kunst in weite Kreise ver-
breitet worden ist, ist sicher zum guten Teil der Ver-
breitung kunstgeschichtlicher Vorträge und Aufsätze,
wie der Entwicklung unserer Kunstmuseen in den letz-
ten 50 Jahren zu danken, aber in neuerer Zeit ist dieses

Bedürfnis nach Belehrung in der Kunst schon viel mehr
in die Breite als in die Tiefe gegangen, es ist zu einer
angenehmen Zerstreuung mehr geworden . Zur Ver-
flachung unserer ganzen Bildung und Kultur hat gerade
die moderne Kunstschwärmerei ganz besonders beige-
tragen, ohne daß sie ins Volk gedrungen wäre und da-
durch zu einer neuen echten Kunst mit beigetragen
hätte. Die Dichtkunst, die in Deutschland vor einem
Jahrhuudert eine so herrliche Entwicklung aufzuweisen
hatte, ist so weit herunter, daß jeder Blaustrumpf seinen
Roman oder seine Humoreske schreibt. Die Musik,
deren höchste Entfaltung gerade ein Ruhmestitel
Deutschlands ist, ist so verflacht, daß jede Portier-
tochter — jetzt müßte man wohl statt dessen Tippfräu-
lein oder Bürodame sagen, wenn sie nicht das Kino
vorzöge — ihr Pianino elendet. Am ärgsten ist aber
die Verwilderung in den bildenden Künsten, deren jam-
mervolle Verirrungen nur dadurch bemäntelt werden
können, daß sie aus dem Wider gegen die ewige Nach-
ahmung der alten Kunst und dem Triebe, etwas Neues
zu schaffen oder wenigstens zu suchen, hervorgegangen
sind. Aber glaubt man dies zu fördern, indem ganze
Klassen von deutschen Akademien ihre Ferien in Ita-
lien verbringen, sodaß die Münchener Akademie be-
fürehtet, das Sommersemester überhaupt nicht zu-
standezubringen, weil sich die Kunstjünger in Italien
saumäßig wohlfühlen! Und wird unsere Jugend ihre
Kunstbildung vertiefen, wenn die Lehrer in den Ferien
mit ihnen durch Italien ziehen — selbst schon ganze
Klassen von Mädchenschulen? Ich fürchte, daß man
bei unseren Zuständen in Deutschland schon lange nicht
mehr von Kultur, aber auch kaum nocii von „Ziviiisa-
tion“ sprechen kann, wie sie Oswad Spengier als Aus-
leben großer Kulturperioden aufgestellt hat.

Friedrich Treml
Wien 1816—1852

Auktlon von
Aquiarellen öster-
reichischer Künstler
bei C. G. Boerner
in Leipzig

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