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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Aprilheft
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Schmitz, Hermann: Kunstgewerbemuseum und Kunstgewerbliche Lehrsammlungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0243

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ihnen ursprünglich verknüpften kunstgewerb-
1 i c h e n Lehranstalten g e 1 ö s t worden,
Diese Loslösung wird durch die teilweise schon voll-
zogene, teilweise noch geplante Verschmelzung der
Kunstgewerbeschulen mit den Akademien fiir die freie
Kunst noch vollständiger werden. Auch die infolge-
dessen eintretende Isolierung der Kunstgewerbebiblio-
theken wird dazu beitragen, diese Anstalten ihrer ur-
spriinglichen Bestimmung als Vorbildersammlungen zu
entkleiden und sie mehr zu reinen Kunstbibliotheken
auszugestalten.

Nun ist aber nicht zu iibersehen — und dieser
Frage die Aufmerksamkeit zuzuwenden, ist der Zweck
meiner Ausfiihrungen —daß die einsichtigen Leiter und
Lehrer der kunstgewerblichen Unterrichtsinstitute die
volLständige E n t b 1 ö ß u n g v o n a 11 e n ä 1 -
teren Schöpfungen anfangen als einen
Nachteil zu empfinden. Das gilt besonders
von den vorbereitenden Klassen, in denen durch Nach-
zeichnung, Aufmessen, Projizieren und Nachmodellieren
guter älterer Muster die Anfangsgriinde fiir den kunst-
handwerklichen Nachwuchs gelegt werden. Der Be-
richterstatter, der mehrere Jahre hindurch den ausge-
zeichneten Unterricht unserer Lehranstalt in diesen
Fächern, insbesondere in dem Aufmessen von Archi-
tektur, Möbeln und Gerät sowie in dem Modellieren pla-
stischer Vorbilder genießen durfte, ist in der Lage zu
beurteilen, welch ein segensreicher Einfluß von dem
verniinftig gehandhabten Studium in dieser Weise auf
die jungen Leute zu beobachten ist. Übrigens ist es be-
sonders zu beachten, das gerade Meister, wie Paul,
Grenander und Seeck, die in ihrem eigenen Schaffen im
schönsten Sinne Interpreten des lebendigen Geistes der
Zeit genannt werden können, doch auf den erziehe-
rischen Wert des bewährten Alten einen so hohen
Wert legen. Nicht tote Formen und Ornamente sollen
ja dadurch erlernt werden, sondern der Sinn soll ge-
weckt und die Hand geschult werden, um die neuen Auf-
gaben auf den nun einmal von unseren Vorvätern er-
worbenen Grundlagen lösen zu können. Es soll ins-
besondere das Gefühl für Verhältnisse, fiir Maßstiib-
lichkeit — das Alpha und Omega aller Kunsttätigkeit —■
entwickelt werden. Was Albrecht Diirer in Bezug auf
die Proportionslehre su unvergleichlich ausgesprochen
hat: „Wenn du messen gelernt hast und den Verstand
mitsamt dem Brauch — worunter das Erlernbare der
Tradition zu verstehen ist — iiberkommen, also daß du
ein Ding aus freier Gewißheit machen kannst: alsdann
ist es nicht mehr not, ein jedes Ding zu messen, denn
deine tiberkommene — d. h. durch Messen erlernte —
Kunst macht dir ein gutes Augenmaß; alsdann ist die
geiibte Hand gehorsam.“

Natürlich i'st dieser Aufbau der kunstbandwerk-
lichen Erziehung auf den bewährten Grundlagen des
Überkommenen vor allem bedeutungsvoll in d e u
Zweigen, die sich mit der Herstellung der feineren Aus-
stattung befassen. In der vornehmen Wohnungskunst
so wie in der Einrichtung von Gesellschafts- und Wohn-

räumen von Hotels, Kurhäusern, Dampfschiffen usw. ist
beispielsweise ohne Einhaltung einer gewissen Konven-
tion nicht auszukommen. Wer einmal einen englischen
Ozeandampfer benutzt hat, weiß, was hiermit gemeint
ist. Und gerade die so wünschenswerte Förderung des
deutschen Exportes kunstgewerblicher Arbeit hat ohne
Berücksichtigung dieser Umstände geringe Aussicht auf
durchschlagenden Erfolg. Es ist übrigens auch Tat-
sache, daß z. B. in Berlin die großen im Dienste des
vornehmen zahlkräftigen Publikums stehenden altre-
nommierten Ausstattungs- und Möbelfirmen um keinen
Preis — was auch vom volkswirtschaftlichen Stand-
punkt aus heachtenswert ist — den traditionellen Ge-
schmack völlig vernachlässigen können. Im Gegenteil.
Damit soll selbstverständlich der seelenlosen Nach-
ahmung alter Stile kein Vorschub geleistet werden. Die
auf der Ausstellung der Manufakturen von Berlin, Nym-
phenburg und Meißen im Kunsthause Wertheim in der
Bellevuestraße so stark in die Augen fallende Nach-
bildung alter plastischer Modelle und gemalter Dekore
ist in dieser Hinsicht wenig ermutigend — man kann sie
nur gelten lassen in der Hoffnung, daß die Modelleure
und Maler durch diese Nachbildungen zur Entwicklung
eines echten Porzellanstils, aber in modernem Sinne be-
fähigt werden. Die so dankenswerte und anregende
keramische Ausstellung dagegen, die Bruno Paul mit
Unterstützung von Dr. Sörrensen und Dr. Kautzsch vor
einigen Wochen in der Unterrichtsanstalt des Kunstge-
werbemuseums veranstaltet haben, war deshalb um so
viel anregender, weil die keramischen Erzeugnisse
unserer Generation hier das lebendige Formen- und
Körperempfinden der Gegenwart dokumentierten —
die plastisch verzierten Tongefäße von Gies waren da-
für gute Beweise. Aber auf der anderen Seite war
wieder zu Gunsten des unmittelbaren subjektiven Aus-
drucks der künstlerischen Empfindung manches auf-
gegeben worden, was die Töpferei der Vergangenheit
uns an objektiven Werten in ihren Gefäßformen, Kör-
pern, profilierten Hälsen, Füßen, Kehlen, Henkeln und
dergleichen, wie auch in dem Organismus ihrer Deko-
ration, in ihren Glasuren und Farben überliefert hat;
einzelne der mit der Hand geformten bemalten tönernen
Riesenurnen schienen umittelbar aus Kaffernkralen in
unsere Weltstadt des 20. Jahrhunderts versetzt zu sein.
Der Drang der Künstlerjugend nach Gestaltung von
Urempfindungen ist durcbaus verständlich; allein die
Entwicklung kann nicht ganz von vorne anfangen, nicht
zurückkehren zur Kulturstufe der Negervölker, sondern
die wahre Meisterschaft muß sich in der Kraft bestäti-
gen: miit dem vorhandenen Erbe Neues zu erarbeiten,
Neues und die Mitlebenden Beglückendes auszu-
sprechen unter Verwendung der Errungenschaften der
Jahrtausende. Sowie auch die Sprache nicht zurück-
kehren kann zu dem unbeholfenen gleichförmigen Ge-
stammel der Kindheit des Menschheitsgeschlechtes, son-
dern sich weiterbildet und bereichert durch die tausend-
fältigen Errungenschaften des unablässig sich erwei-
ternden menschlichen Geistes. Und was nun die gesell-
schaftliche Konvention anbetrifft, so muß ein Stuhl nach

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