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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

DOI Heft:
1./2. Juliheft
DOI Artikel:
Waldmann, Emil: Franz Hals im neuen Gewande
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0343

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eineÜbertreibung immer mehr und mehr erweisen, auch
wenn man noch so nachdrücklich darauf hinweist, daß
der achtzigjährige Frans Hals von dem Genie Rem-
brandts so mit hochgerissen wurde, daß er, früher ein
malerischer Draufgänger, eben in jenen „Vorsteherin-
nen des Altfrauenhauses“ an seelischer Tiefe fast mit
Rembrandt wetteiferte. Aber auch auf detn Gebiete
des rein Malerischen sind Schwächen zutage
gekommen, so daß man nicht einmal weiß, o'b
Frans Hals bei dem ernsthaft anzustellenden Vergleich
mit Velasquez am Ende nicht doch zu kurz käme. Frans
Hals beherrscht den malerischenRaum nicht sehrsicher.
In seinenRegentenbildern und Schützenstücken empfin-
det man dcn Bildraum als malerische Einheit nicht, man
weiß nie so recht, in welcher Raumschicht die Figuren
im Bilde stehen, das Vor und Zurück im Bilde rollt sich
nicht einheitlich ab. Er fügt seine Figuren und seine
Körper nicht nach einem dominierenden Rhythmus des
Luftraumes zusammen, sondern nach dem Reichtum
und der Interessantheit ihref Axen in der Fläche, nach
der Schlagkraft der Gebärden und der Figurenphy-
siognomie. Man weiß nicht, wie die Körper zusammen-
sitzen und wo das von ihnen eigentlich geblieben ist,
was nicht Kopf und Halskrause, Schärpe und momen-
tane Bewegung heißt. Seine Gestalten sind
oft summarisch konstruiert, der Tatbestand orga-
nischer Körperfunktion ist etwas verschleiert,
die Durchbildung der organischen Form muß dem
Künstler zeitweilig lästig gewesen sein. Auf einem
Gemälde das 11 Mensäen zeigt, zählt man 9 unbehand-
schuhte und 5 behandschuhte Hände und daß er dies
Mittel anwandte, mn in der unteren Bildhälfte nicht zu-
viele helle Flecken in Konkurrenz mit den hellen Köpfen
zu bekommen, kann man heute auch nicht rnehr an-
nehmen; denn die Handschuhe sind nun nicht rnelir ge-
dämpft, sondern auch hell, sogar leuchtend weiß im
Ton. So fallen manche diese Gemälde jetzt ausein-
ander, nicht nur räumlich, sondern auch in der Fläche.
sie machen einen unruhigen Eindruck. Wie den
einzelnen Gestalten, so fehlt den ganzen Bil-
dern ein wenjg der Knochenbau und die klare
Struktur. Diese Unruhe des Gesamteindrucks sollte
dem Ausdruck von Bewegung zugute kommen. Und
die Bewegung, die schnelle Bewegung einer Gebärde,
die vergleitende Bewegung eines wechselnden Ge-
sichtsausdrucks ist ja das Reich in dem Fra-ns Hals wie
ein Alleinherrscher regiert. Phsiognomischen Aus-
druck der Gesichter und der Masken hat keiner so hieb-

und stoßfest wie er. Aber es scheint doch, wenn die
Gesamthaltung dieser etwas unruhigen Bildflächen hier-
zu mithelfen soll, als werde dieser Vorteil ein wenig
teuer erkauft. Kleinere Leute, als Frans Hals, die docli
ohne seine Anregungen nicht hätten existieren können,
wie etwa Verspronck und Jan de Bray, die im
Ausdruck auch selir lebendig, im Blick kaum weniger
fascinierend, in der Beweglichkeit fast ebenso schnell
und in der Charakterisierung beinahe ebenso schlag-
kräftig, und in der Farbe auch manchmal sehr reich
sind, haben den Bildraum und das dramatische Zu-
sammenspiel der Figuren im Raume einheitlicher und
voller beherrscht. Allerdings malten sie ihre Haupt-
stücke ein paar Jahre nach der Entstehung von Rem-
brandts „Staalmesters“, die 1661 fertig dastan-
den. Aber dieses Meisterwerk, nicht nur im Mensch-
lichen, sondern auch als Malwerk so meisterlich, kannte
Frans Hals auch, als er im Jahre 1664 die Regenten und
Regentinnen der beiden Altenheime malte. Gerade sie
aber bleiben im Räumlichen doch gewissermaßen
Problem. —

Diese Eindrücke — und nur um subjektive Ein-
drücke handelt es sich hier — auch wenn sie sich nur
auf eine bestimmte Seite der Frans Hals’schen Kunst
beziehen, bedeuten einen kleinen Verlust. Halten
wir uns an das, was bleibt. Das ist sehr viel.
So wie viele Einzelbildnisse von Frans Hals in ihrer
Art einzig sind, so sind manche Figuren auf diesen Ge-
mälden, manche Einzelgruppen, manche Köpfe, als
reine Malerei, als Beherrschung des physiognomischen
Ausdrucks, als leuchtende, bewegte, blendende Farbig-
keit, als stupendes Malenkönnen unvergleiohlich mit
was es auch sei. Wenn d'er goldene Ton, den wir ver-
loren haben, die Schwächen, die man auch früher ftihlte,
so zudeckte, daß sie damals nur leise mitsprachen —
seine Entfernung, die solche Schwächen nun
aufdeckte, gab uns die Kenntnis und die leibhaftige
Anschauung, wie stupende diesesMalhandwerk inWirk-
lichkeit nun eigentlich war. Und mag das Unheimliche
und fast Gespenstische der Erscheinung, um dessent-
willen wir besonders jene geisterhaften Alterswerke
so sehr liebten, nun auch weichen, so wie ein Ne-
bel weicht, die Nähe und die volle Deutlichkeit, mit der
diese Köpfe nun vor uns stehen, bleiben doch Werte
eines unvergleichlichen und unerreichten Zauberers.
Nicht mehr, auch nicht weniger. Vielleicht gleicht die
Zeit, die früher manches ausglich, auch dies noch wie-
der aus, was uns heute als Härte erscheinen mag.


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