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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 20
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0328

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Ocricbte übcr Dcrscbicdcncs.

lqamburger Lericht.

Jnternatio nale Gartenbau-A usstellung. I.
(Schluß.)

Schön wärs, wenn man dem Publikum den Weg
deutlicher zu zeigen versucht, den dieser oder jener Gärtner
eingeschlagen hat, um aus dieser oder jener Stammmutter
neue Varietäten zu erzielen, wenn man z. B. die natür-
liche Stammmutter unserer Stiefmütterchen, unserer
Tulpen, Nelken u. s. w. neben der heutigen Ausbildung
der betreffenden Pflanzen im Garten ausgestellt hätte.
Mit großem Jnteresse werden vom Publikum gerade der-
gleichen Demonstrationen (z. B. ist die Entwicklung des
Spargels ausgestellt) hingenommen.

Sehr lobenswert sind die Absichten, die verschiedene
von Hamburger Vereinigungen ausgeschriebene Preise
verfolgen. Es sind z. B. Preise ausgeschrieben sür
Blumenzucht im Zimmer, ein Ansporn für ein vergrößertes
Znteresse der Bevölkerung an der Blumenzucht, ferner
für Schulgärtenanlagen, sür Blumen, die im Zeichen-
unterricht zu verwenden sind u. s. s.

Die Entwicklung des Sinnes für Blumenschönheit
ist ja sür die Anbahnung einer volkstümlichen Kunst
außerordentlich wichtig. Glücklicherweise hat unser Volk
von Natur viel Teilnahme dafür, die aber immerhin
noch großer Entwicklung sähig ist. Jnsbesondere könnte
ein größeres Jnteresse für die selbstgezogenen im Gegen-
satz zu sertig gekausten Blumen erzeugt werden. Eine da-
durch erzielte bessere Naturbeobachtung wäre sicherlich
eine nicht üble Verstürkung sür die Entwicklung der
Freude an der Natur überhaupt, und diese würde wieder
einer vergrößerten Empfänglichkeit sür die Schöpfungen
der Kunst zu Gute kommen.

Freilich sieht man in der Ausstellung auch Bildungen,
die, weil unnatürlich, unangenehm berühren müssen, wie
hohe, so gut wie blattlose, aber blütenreiche Springen-
sträuche u. dgl. — so, als hütte man eine durchbrochene
gotische Kirchturmspitze etwa auf den kahlen Pfahlunter-
bau einer Dayakhütte gesetzt. Blüten und Blätter gehören
doch notwendig zusammen, und die Blütter als das not-
wendigere dürsen dabei am wenigsten fehlen, wenn es
sich darum handelt, eine Pslanze in ihrer schönsten, also
doch auch gesündesten Ausbildung zu zeigen.

llnter den Blumenbindereien zeigt sich, was Sträuße
anbelangt, eine sehr erfreuliche Rückkehr zum Natürlichen.
Die Radbouquets, ohne die man sich sonst keinen Bräuti-
gam und keine Konzertsüngerin vorstellen konnte, scheinen
glücklicherweise im Verschwinden. Der natürliche Strauß
siegt auf der ganzen Linie, und die natürlichen Schön-
heiten der Blumen und sogenannten Blattpflanzen kommen
somit zu ihrem Rechte. Jn der Wahl der zusammenge-
stellten Blumen offenbart sich ein bedeutend gesteigerter
Farbengeschmack im Vergleich gegen früher.

Natürlich gibt es noch immer Scheußlichkeiten, wie
aus Blumen gepflasterte Herzen, Riesenschmetterlinge,
Kissen, Vasen, Füllhörner, Harfen, Regenschirme und derlei
poetische Sachen, — es wird wohl noch etwas währen,
bis auch diese „zu netten Gedanken" ihren Reiz für ein
verehrliches Publikum verloren haben. Eigentlich müßte,
wie man denken sollte, ein schön gefüllter Blumenkorb,
der etwa neben so einem „reizenden Gedanken" steht,
jedem, der nur ein bißchen Schönheitssinn in sich hat,
die Augen öffnen für die llnsinnigkeit all solcher „sinnigen"
Geschmacklosigkeiten. Aber wenn man der schleifen- und

holzbrand-verzierten Holzlöffel als Schlüsselbretter gedenkt,
der Couvertsständer aus vergoldeten Stiefelknechten, der
Ofenschirme aus Garnrollen, der mit aufgeklebten Brief-
marken „verzierten" Teller, die viele unsrer Damen noch
immer so entzückend finden ldie Herren, die jene patriotisch
„sinnigen" Bierkrüge in Form des Kopfes von Bismarck
oder dem alten Kaiser Wilhelm kaufen, sind freilich nicht
besser) — ach, dann vergeht einem vorläufig noch etwas
die Hoffnung auf baldige Geschmacksänderung in dieser
Hinsichtl

Erfreut haben mich Blumenkorbkompositionen, die
offenbar auf Naturstudien beruhen, z. B. ein reizender
Korb, der Feldmohn, Kornblumen und weiße Chrpsantemum
auswies und damit völlig die köstliche Stimmung des
Randes eines so verzierten Kornfeldes erreichte u. a. m. Ob
das — im Verein mit schönen Kränzen gleicher Sinnesrich-
tung, die man bisweilen in Läden sieht — vielleicht schon
ein Anzeichen von Geschmacksbesserung ist?

Die Jndustrie-Ausstellung, die sich an die eigentliche
Ausstellung anlehnt, enthält manches ein Künstlerauge
erfreuende Schöne, eigenartige dänische Faiencen, Prof.
Läugers Blumenvasen, interessante Versuche der Gesellschaft
Hamburgischer Kunstfreunde in Bezug auf die Schöpfung
einfacher, schön glusierter und dabei billiger Blumenvasen,
hamburgische Zierglüser in Art der Köppingschen, schöne
Pflanzenstudien vom Architekten C. Wolbrandt, schöne
Gartenmöbel, englische wie deutsche (unter letzteren auch
Nachahmungen von Bauernstühlen aus Weiden, wie man
sie in Lauenburg und in der Lüneburger Haide sehen
kann) u. s. s. Die berühmten Gnome, Rehe u. s. w. als
Garten„schmuck" fehlen dagegen natürlich auch nicht, und
„ach, wie süß!" kann man noch ost vernehmen.

Jn der wissenschaftlichen Abteilung gibts auch künst-
lerisch interessante Dinge, z. B. schöne Pslanzenstudien,
Naturselbstdrucke von Blättern, Darstellungen, welche das
Verständnis für den Bau merkwürdiger Blütenformen
in Zusammenhang mit dem für die Fortpflanzung not-
wendigen Jnsektenbesuch eröffnen, Darstellungen, welche
die Entstehung der Holzmaserung erklären, interessante,
ornamental verwendbare Astumbildungen u. s. w.

Ein schöner Gedanke ist in der Vegetations-Gallerie
sehr glücklich ausgeführt worden. Der Hamburger Land-
schaftsmaler Schwinge hat in einer Reihe von Dio-
ramen mit natürlichem Vordergrunde verschiedene Vege-
tationsgebiete der Erde dargestellt. Als besonders ge-
lungen sind zu nennen eine deutsche Heidelandschaft, eine
Alpenhalde, ein Stück aus der mexikanischen Hochebene,
eine Farrenlandschaft aus Neu-Seeland u. s. f.

Was die ornamentale und malerische Ausstattung
der Gebüude anbelangt, so lag es ja nahe, natürliche
Pslanzenmotive als Grundlage dasür zu nehmen. Es
sind dabei allerlei interessante Lösungsversuche zu Tage
gekommen, einer hats rein realistisch gefaßt, ein anderer
hat eine Vereinigung zwischen ornamental behandelten
Pflanzenwerk und keltisch-nordischen Linienornamenten ver-
sucht, ein dritter hat die neuerdings bei uns soviel Boden
gewinnende englische Behandlungsweise nachgeahint u. s.f.
Somit könnte es scheinen, als lenke man in Hamburg
endlich, nachdem so und so viel einzelne Hamburgische
Künstler und Kunstgewerbler schon diesen Weg gewandelt,
in die neue Bahn ein, in welcher das natürliche Pslnnzen-
ornament eine tonangebende Rolle spielt. Das lang Vor-
ausgesehene scheint also — 's ist übrigens ja in ganz
Deutschland ebenso — endlich zur Wahrheit werden zu
 
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