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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 20
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Rundschau
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0329

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E'

wollen. Es fragt sich nur, ob die Bekehrung eine Herzens-
bekehrung — oder nur eine rnit der Dauer

einer solchen ist. Jch muß gestehen, was da entsteht,
schmeckt mir immer noch ein bißchen oft nach „g ls. . . .",
ich uermisse manchmal noch recht sehr das eigene Jch des
betresfenden Lrnamentikers, insbesondere eigene Natur-
studien und Behandlungsweise. Es mag sa aber sein,
daß dieser Umweg nötig ist, um die Leute davon zu
überzeugen, daß die, die schon seit Jahrzehnten in diesem
Sinne gewirkt haben, doch Recht hatten. Der Himmel
gebe das wenigstens.

Es wäre außerordentlich wünschenswert, daß unsere
Ornamentiker von der Ausstellung recht viel lernten,
leider kann ich nichts davon berichten, daß z. B. unser
Kunstgewerbeverein in richtiger Erkenntnis des sich voll-
ziehenden Umschwunges in der ornamentalen Kunst zur
Ermunterung Preise sür Naturstudien oder dergl. in der
Ausstellung ausgesetzt hätte, auch von einer Publika-
tion über ornamental wertvolle Pflanzen verlautet nichts,
und die Gelegenheit, die für uns Hamburger so bald nicht
wiederkommt, wäre doch zu günstig. Es wäre sehr inte-
ressant, wenn man nachher in einer Ausstellung der daselbst
gemachten Naturstudien und ihrer Anwendungen die Ver-
schiedenheiten der einzelnen Hamburger Sonderauffassungen
beobachten könnte. Jch habe vor zwei Jahren auf der
Darmstädter Versammlung des Vereins Deutscher Ge-
werbeschulmänner schon einmal den Versuch einer solchen
ausschließlich auf Hamburger beschränkten Ausstellung
gemacht, der großes Jnteresse, ja ich darf wohl sagen
Staunen erregt hat. Es war außerordcntlich anregend,
die verschiedenen Richtungen zu beobachten, die verschie-
dene Künstlerindividualitäten eingeschlagen hatten, um in
der Verwendung von Naturstudien im Ornament zum
Ziele zu kommen: die gotisierende Richtung, die in der
Dekoration unserer Kirchen herrscht, die nialerisch-
naturalistische, die an Japan anschließende Behandlung,
die von englischen Versuchen beeinslußte, die an die

deutsche Renaissance anknüpsende und andere, bei denen
von einer Anlehnung weniger die Rede sein konnte. Nun,
ich weiß ja nicht, was im Werden oder im Plane ist,
vielleicht kann ich später von dergleichen berichten. Jch
möchte gern, daß die verschiedenen Richtungen, die wir ^
in Hamburg in Bezug auf das Pflanzenornament haben,
statt sich zu befehden, sich als auf gleicher Grundlage
stehend vereinigten, und das könnte sehr wohl die Folge
eines solchen Vorgehens sein.

Ueberhaupt scheint mirs wünschenswert, daß sich in
nicht allzuferner Zeit alle diejenigen fest zusammenschließen,
die Herzensanteil nehmen an den immer krästiger
werdenden Bestrebungen für eine eigendeutsche, volks-
tümliche Kunst, von der unsere Ornamentik auf natürlicher
Grundlage ja doch ein Teil ist. Die Hamburger Gruppe
würde nicht die unbedeutendste sein, denn alle
Sonderbestrebungen im Sinne dieses Zweckes haben in
Hamburg in weiten Kreisen feste Wurzeln geschlagen.

Die künstlerische Erziehung unserer Jugend hat sich eine
Lehrervereinigung als Arbeitsfeld erkoren, die zum Zweck
einer natürlicheren Gestaltung unseres Zeichenunterrichts
in diesem Jahre schon eine kleine interessante Ausstellun g
veranstaltet hat, der Verein Hamburgischer Kunstfreunde
läßt sich die künstlerische Hebung des Dilettantismus an-
gelegen sein, unsere jungen Maler beteiligen sich neben
allerlei Kunsthandwerkern wacker mit an der Wiederbele-
bung einer natürlichen Zierkunst und überbrücken so die un-
natürliche Schranke, die bisher höhere Kunst und Zier-
kunst trennte, Kunsthalle und Kunstgewerbeinuseum wett- i
eifern, größeres Kunstinteresse und -Verständnis in allen
Kreisen zu erivccken, unsere Kunstgewerbeschule pflegt
mit verstärktem Jnteresse Naturstudien und Versuche, sie
sür die Zierkunst zu verwerten u. s. f. Alles berechtigt zu
guten Hoffnungen darauf, daß der Ruf unserer Vaterstadt
auf dem Gebiete der Kunst dereinst ein besserer sein wird,
als er bisher war.

Gskar Schw iudrazh e im.

Spreckslkal.

Spezifische Lyrik.

Ueber meinen Leitaufsatz in Heft des Kunstwarts
schreibt mir Professor Adolf Stern eine Reihe seiner Be-

merkungen, die ich mir, da sie meine Anschauungen zum
Teil ergänzen, hier mitzuteilen erlaube: „Jhr Aufsatz über
spezifische Lyrik gibt etwas aus zu raten und ist mir nicht
^ bloß im gewöhnlichen Wortsinn interessant. Jch glaube,
daß Jhre Einteilung richtig ist; daß aber nur eine be-
stimmte Anzahl von Gedichten ganz klar unter die beiden
getrennten Gattungen sallen. Die spezifische Lyrik mit
dem quellenden Urgesühl umfaßt nur eine kleine Anzahl
von Gedichten, in denen die Anregung durch die Gelegen-
heit sich gleich in eine elementare Schwingung der Seele
verwandelt hat ldenn ohne Anregung durch ein Erlebnis,
ein Naturbild, eine Sehnsucht wirds wohl kaum abgehen!),
und sehr viele. in denen wie in »Füllest wieder Busch
und Thal« die Gelegenheit noch nachzittert, sich aber in
Allgemeinstimmung verwandelt. Die Gelegenheits-Lyrik
aber hat doch ganze Reihen von Gedichten, in denen nicht
bloß die Dinge in Stimmung getaucht sind, sondern eine
elementare Stimmung neben den Bestimmtheiten hergeht
wie die rote oder goldene Wolke neben den Umrissen des
Hügels oder Waldes. Und hier wird es nun auf sub-
jektive Empfindungen ankommen, ob man einen Allcharakter

oder bloß einen erhöhten subjektivsn Ausdruck in den
Gedichten fühlt. Die vollendetsten Gedichte beider Gat-
tungen lassen keinem Zweifel Raum, aber die hunderte
der zwischen beiden liegenden können leicht irre führen.
Und es kommt noch etwas hinzu, was, glaube ich, Goethe
zu seiner einseitigen Betonung des Gelegenheitsgedichtes
gedrängt hat. Das gute Gelegenheitsgedicht, das eine
Situation, ein Erlebnis klar und deutlich zeichnet und
durch Stimmung nur illuminiert wird, kann nicht gut
nachgeahmt und »gemacht« werden. Wohl aber ists
möglich, daß die spezifische Lyrik, die wie die Natur selbst
wirken soll, nachgestammelt, gleichsam ertastet wird,
und Goethe hatte an der Lyrik der Romantiker die Ver-
suche dazu reichlich gesehen. Sie können freilich sagen,
daß diese tastenden Versuche, diese Anläufe, der Natur
ihre wunderbarsten Laute, die sie dem größten Lyriker
in Weihestunden schenkt, abzukitzeln, immer wirkungslos
bleiben werden. Aber mir ist, als würden die Reflexions-
poeten allzumal hehaupten, ihre Lyrik sei spezisische, sei
Weltseele und entströme dem Allgefühl. Jhre kleine Ab-
handlung erscheint mir daher als eine Aufforderung, den
Weg weiter zu verfolgen und nachzudenken, ob sich nicht
auch noch einige sichere Kennzeichen des spezifisch Lyrischen
 
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