Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

DOI Heft:
Heft 21
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0338

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
daß Servaes' Büchlein jedenfalls sehr anregend ist. Frei-
lich, es enthält auch vieles Unreife nnd Schiefe. So kann
ich, um noch eins zu errvühnen, mit dem beften Willen
nicht entdecken, rvie Gerhart Hauptmann „Nachrvuchs
Goethes im edclften Sinne" fein follte— Gerhart Haupt-
mann, der von vornherein ein bewußt-manierierter Poet
gewesen und es bis auf diesen Tag geblieben ist.

Adolf Bartels.

* °Aebcr Illetselektüre finden wir im Beiblatt zum
„Bildungs-Verein" einige Bemerkungen, die wir weiter-
geben möchlen. Der Verfasser spricht zunnchst von dem
wenig fauberen Charakter der beliebten Neiselektüre und
von der Schwierigkeit, in der Bahn überhaupt mit Samm-
lung zu lesen. Dann fährt er fort:

Aber auch aus anderen Gründen mutz man das
anhaltende Lesen in der Eifenbahn beanftanden. Man
mache sich nur einmal das Vergnügen und frage eine
Reihe von Touriften, die alljährlich nach der Schweiz,
nach Vöhmen oder nach dem Norden fahren, was fie von
den Routen, die fie zu den gesuchten Paradiesen führen,
eigentlich wissen. So gut wie nichts. Zwischen Berlin
und Dresden bezw. Eisenach und Swinemünde haben diese
Leutchen es kaum für nötig gehalten, einen Blick aus dem
Fenster zu thun. Sie mutzten ihren Skat dreschen oder
eine kitzliche Geschichte über ihre Haut rieseln lassen. Da
sitzt so ein Menschenkind, das vom lieben deutschcn Vater-
lande kaum die nächsten Hügel bei seiner Vaterstadt genau
gesehen hat, und liest und liest in einem der bekannten
Büchlein, wührend draußen die Felder und Wiesen lachen,
die Herden weiden und die Landleute arbeiten, fast in
jeder Gegend anders. Da erheben sich die Türme der
Dorskirchen und die Schlote der Fabriken, da ziehen die
Kinder singend durch die Dorsgasse und winken mit
Taschentüchern — wenn sie welche haben — und Mützen
dem schnell rollenden Zuge zu, und so bieten sich tausend
Bilder und Szenen dem Auge dar. Es sind allerdings
keine Tyroler und Norweger Bergpartien, nichts Außer-
gewöhnliches und Aufregendes, aber man sollte meinen,
auch das Wenige, was man auf einer Eisenbahnfahrt durch
das Flachland sieht, wäre wertvoll genug, um es mitzu-
nehmen. Der Fleiß des Bauern und des Gärtners, die
Erzeugnisse verschiedener Jndustrien, die aus den Bahn-
höfen oder an den Bahndämmen liegen, die Phpsiognomie
der Dörfer und Städte, die Natur mit ihrem Werderr und
Vergehen und ihrer ungleichen Entwicklung in den ver-
verschiedenen Gebieten sollten selbst denjenigen fesseln, der
viel aus der Eisenbahn sährt und dieselbe Linie oft benutzt.
Unsere Väter und Großvüter verstanden besser zu reisen.
Sie kannten jede Station, die sie berührt hatten, und
lernten selbst auf der Eisenbahn ein gut Stück Natur und
Menschenleben kennen. Wir sind von einer geradezu un-
zulässigen Gleichgültigkeit gegen das, was eine lüngere
Reise unterwegs zu bieten vermag. Wenn man nicht in
einem Blitzzuge fährt, steigen z. B. aus den meisten Stati-
onen Mitreisende ein, die über Land und Leute Auskunft
geben könnten. Aber niemand fragt sie. Der blasierte
Reisende fühlt sich unbequem berührt, durch jede Störung
dieser Art. Er sitzt am liebsten in einem Abteil, das auf
der Abgangsstation geschlossen und aus der Endstation erst
wieder geösfnet wird, und so schließt er auch Augen und
Ohren, um nicht zu sehen und zu hören von alledem, was
um ihn vorgeht. Denn was soll er damit? Was gehen
ihn Luckau, Forst, Eberswalde und Jüterbog, was die
Ackerslächen der Uckermark und der Goldenen Aue an?

-4.

Der Mensch von heute unterhält sich über so naheliegende
und nüchterne Dinge nicht. Ja, mit dem Rigi und Pi-
latus, der Jungsrau und den Lofoten ist es etwas Anderes.

Die muß man freilich gesehen haben, um nls gebildeter
Mensch zu gelten.

Es mag Fälle geben, in denen die Reiselektüre am
Platze ist, iin allgemeinen aber ist sie ein Symptom der
Krankheit unserer Zeit: der Uebersättigung und der Ober-
slächlichkeit, an denen Hoch und Niedrig leiden. Ein
Mensch von Geschmack und Bildung sollte sich mit einem
der modernen Reiseromane schlechterdings nicht zeigen.

Aber so sind wir. Wir genieren uns, vor den Mit-
reisenden in nicht ganz eigener Kleidung zu erscheinen,
und wir würden ein Gericht, das uns als verarmte
Leute erscheinen ließe, vor fremden Augen nicht verzehren.

Wir wollen nicht mit „jedermann" in einem Coups sitzen,
stecken ein möglichst weltmännisches Gesicht auf und treten
Mitreisenden so höslich und verbindlich als möglich gegen-
über, denn uns liegt daran, für gebildete und achtbare
Leute gehalten zu werden. Aber wo bleibt dieser vor-
nehme Nimbus, wenn wir einen gewöhnlichen Eisenbahn-
schmöker aus der Tasche ziehen? Wir genießen die Sude-
leien des ersten besten Hohlkopfes in der gewähltesten
Reisegesellschaft ganz ungeniert und denkcn wohl gar nicht
daran, daß ein kritischer Mitreisender aus unserer Lektüre
auf uns selbst und unser Wesen Rückschlüsse ziehen könnte,
die für uns keineswegs schmeichelhaft sein würden.

» Literariscbe Meberproduktion.

„Redakteur" war, bin und werde ich nicht, — soweit
sich das voraussehen lätzt. Sagte mir doch einmal einer,
man ruiniere in diesem Beruf notwendig sich selbst oder
sein Blatt, eine Behauptung, die insofern wahr sein mag,
als es dabei ohne ichmerzliche Kompromisse nicht abgeht
— doch, es bedarf ja gar nicht der Versicherung meiner
Laienschaft in der zu behandelnden Materie. Was ich zu
sagen habe, ist so naiv, so aller Rücksicht auf die that-
sächlichen Verhültnisse bar, so hundertmal schon höchst
überflüssigerweise vorgebracht, datz die Leitung des Kunst-
warts solchen Auslassungen ihre Spalten unbedingt ver-
schließen müßte, womit unser literarischer Klerus die
Resormbedürftigkeit gewisser Zustände zwar nicht leugnen
will, deren Besserung jedoch lieber einer kühneren Nach-
welt überläßt. Aber ich habe noch eine Entschuldigung
für meine Kühnheit. Erlebt man einmal die schon längst
als solche theoretisch erkannten Mitzstünde am eigenen
Leibe, so erscheinen sie mit einem Mal viel dringender
und reformbedürftiger, man sinnt mit größerem Eifer
über ihre Abhilfe nach, und solche Erwägungen gehen
vielleicht auch einen größeren Kreis etwas an. —

Mein Freund hat einen sorgfältigen, gedankenreichen
Aufsatz mäßigen Umfangs über eine Frage geschrieben,
die zwar eben nicht in allen Zeitungen behandelt wird,
aber doch, weil ungelöst, in kurzen Abständen immer
wieder in den Vordergrund rückt; er sendet ihn einer
grötzeren Zeitschrift. Vierzehn Tage vergehn und er wagt
eine Anfrage; keine Antwort. Er erneuert sie nach
weiteren acht Tagen, worauf die Rücksendung der Hand-
schrift als Drucksache erfolgt. Wie liebenswürdig! Doch
er hatte ja das Rückporto nicht beigefügt. Neuer Versuch
bei einem andern Blatt, und schleunigste Rücksendung mit
einem beigefügten Formular, das einen „verbindlichsten
Dank" für die „gütige Zusendung" ausspricht aber lebhast
bedauert, sie wegen.... nicht verwerten zu können. Bei
„wegen" lützt das höfliche Formular eine von dem viel-
 
Annotationen