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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI issue:
Heft 16 (2. Maiheft 1905)
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Kalkschmidt, Eugen: Von allerhand Festlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0233

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i auch ihr eigentümliche Gefühle des Abstandes geweckt und halb un-
bewußt großgezogen, des Abstandhaltens im körperlichen wie im gei-
stigen Betragen, in Rede und Gegenrede. Wie abgetönt und anmutig
stilisiert erscheinen nns heute die Dialoge bei Jean Paul, Wieland
oder E. T. A. Hoffmann, ja bei Jffland oder Kotzebue ist dieser stillere
Zeitgeist felbst in Trivialitäten mächtig. Jm heutigen Zeitalter des
gehobenen Verkehrs hat fich die Würdigkeit unseres Verkehrens mit-
einander leider nicht gehoben noch vertieft, fondern, auf die Breite
hin angefehen, ganz entschieden verflacht.

Wir stoßen auch hier, wie überall, wo tiefergehende psychifche
Aenderungen ins Auge fallen, auf wirtschaftliche Gründe, kommen
auch hier um die Einflüfse der modernen Großstadt nicht herum. Der
heutige Mensch, der feine zehn Stunden angestrengter Arbeit hinter
sich hat, findet in der befchränkten Häuslichkeit feiner halben Groß-
stadt-„Etage" die Erquicklichkeit nur schwer, die unsere behäbigen Alt-
vordern fanden, wenn fie das spanische Rohr in die Ecke gestellt,
den Zylinder mitsamt dem Geschäftsmenschen an den Nagel gehängt
hatten und nun die eine oder andere Liebhaberei vorzogen; sei es
das Kohlpflanzen hinterm Haus oder Häuschen, sei es das Sammeln
der schönen Gesteine oder das Studium der schönen Künste und der
beruhigenden Philosophia. Das Pendel der modernen Psyche aber
; schwingt nicht mehr von der Aktion znr Kontemplation, der „Abgrund
der Betrachtung" des Lebens und der Welt öffnet fich dem heiß
erregten Sinne des gefahrvoll Wagenden nicht mehr so leicht: so
geht er einer „Ablenkung" nach und vorzüglich dorthin, wo es was
zu schauen gibt, wo er selbst geschaut wird, und wo er die tröstliche
Gewißheit empfängt: tausend andere machen es ebenso wie du: eine
jener Gewißheiten, mit deren Hilfe die Masfe ihr Gewissen noch stets
beschwichtigt hat. Kann man es aber der Frau verdenken, wenn sie
diesem großstädtischen Zerstreuungsbedürfnifse nachgibt und aus dem
Heim auf die Straße tritt? Steht fie allein und erwerbend im modernen
Leben, so wird man es ohne weiteres begreislich finden, daß sie nicht
mehr Gretchen am Spinnrade scheinen, „markieren" will, denn sie
ist es ja längst nicht mehr. Steht sie neben dem Manne, anch als
Mntter, so will fie doch schließlich etwas von ihm „haben", und wenn
sie die Kinder nicht allein lasfen will oder kann, nun, so wandern
fie eben mit. Jeder kann die Beobachtung machen, wie nicht nur an
Feiertagen und auf Ausflügen, sondern im Alltag Schulkinder jeden
Alters, ja selbst kleine K-rabben bis spät in den Abend hinein von
ihren seßhaften Erzeugern im Wirtshause festgehalten werden.

Und nun die Festlichkeit dieser innerlich allgemach Entfesteten,
was kann sie anderes sein als ein hilfloses Spiel mit überlieferten
aber wefenlos gewordenen Formen? Wie selten wird noch ein wirk-
lich festliches Wort erhört! Wo ist innerliche Beteiligung in all dem
blauen Weihedunst zu spüren, den man uns bei jeder Gelegenheit ins
Gesicht bläst? Unsere offiziellen Festgelegenheiten — worauf laufen
sie hinaus? Aufs Umkleiden, aufs Efsen und Trinken, vor allem
aber: aufs „militärifche Schauspiel". Gleichtritt der Massen, Tusch,
Trara und Kommandoton sind gute Dinge, wo sie hingehören, aber
gehören fie denn so ziemlich überall hin? Die Festlichkeit wird uns
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