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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 19 (1. Juliheft 1905)
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Ratzel, Friedrich: "Ueber Naturschilderung"
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0406

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Anspinnens und Abwickelns großer Gedankenprozesse. Es ist darurn
dern Dichter — dessen ältester lateinischer Name zugleich den Seher
bezeichnet — und dem wissenschaftlichen Entdecker gleichermaßen eigen.

Ius „ciem Leben cler Vienen" von sVlauriee Maeterlinck

Vorbemerkung. Jch wüßte kein Buch zu nenneu, das so den
Namen eines „S o m m e r b u ch e s" in besonderem Sinne verdiente als
Maeterlincks „Das Leben der Bieuen" (Eugen Diederichs, Jena). „Die
Bieuen", sagt Maeterlinck, „schenken dem Menschen Honig und duftendes Wachs,
aber was vielleicht mehr wert ist als Honig und Wachs: sie lenken seinen
Sinn auf den heiteren Junitag, sie öffnen ihm das Herz für den Zauber
der fchönen Jahreszeit, und alles, woran sie Anteil haben, verknüpft sich
in der Vorstellung mit blauem Himmel, Blnmensegen und Sommerlust. Sie
sind die eigentliche Seele des Sommers. . . . Sie lehren uns die zarteste
Stimme der Natur verstehen, und wer sie eiumal kennen und lieben gelernt
hat, für den ist ein Sommer ohne Bienensummen so unglücklich und unvoll-
kommen wie ohne Blumen und ohne Vögel." Aber der „Sommer", auf den
die Bienen Maeterlincks unsre Seele und unsre Sinne lenken, blüht nicht
nur in Glanz und Duft der Nähe, er erstreckt sich bis tief hinein in die ge-
heimnisvolle Bläue der Unendlichkeit, in der unsre Erde kreist. Ohne Bild,
Maeterlincks letzte Ziele erschöpfen sich nicht in einem innigen Betrachten der
Bienenwelt an sich, er sucht in ihrem Leben vor allem die Fäden, die ihr
winziges Dasein mit dem Weltganzen verknüpfen: die Gesetze des Alls
spiegelt ihm ihr Getriebe in typischer Weise, aus dem geheimuisvollen
Entwicklungsdrange, der ihren Staat gefchaffen und belebt, leitet er auch
für unsere Zukunft die edelsten Hoffnungen und höchsten Verpflichtungen her,
und so erhebt sich seine Schilderung stellenweise zu einer symbolischen Dich-
tung, die im Wirken der Bienen das Walten des Lebensgeistes selber zu
erfassen und darzustellen sucht.

Doch will diese Dichtung die Tatsacheu keineswegs „verschönen",
d. h. willkürlich entstellen. Dafür ist Maeterlinck zu tief von Ehrfurcht vor
der Natur durchdrnugen: er weiß, sie vergilt das Opfer eiuer jeden Jllusion,
das unfre Ehrlichkeit den Tatsachen bringt, mit einem tiefern Einblick in
ihr Wesen, durch das Oeffuen neuer und stärkerer Begeisterungsquellen.

So bleibt denn auch seine Schilderung bei allem hohen Fluge „gegen-
ständlich" und immer lebendig interessant. Jch will dabei gar nicht
verhehlen, daß ich vor diesem „Bienenwerke" mein Damaskus trotzdem nicht
gefunden habe, aus einem Saulus kein Paulus geworden bin. Jch habe
im Kunstwart vor Jahren ausgeführt, wie mir die Tiefe der Begabung

unseres Dichters an einer gewissen Ueberzartheit des Empfindens zu leiden,
von einer Ueberzartheit gehemmt zu werden scheine, die bis zur Schwächlich-
keit gehen könne und die dann, wenn Maeterlinck „Großes" zu erreichen
strebe zu seinen ethischen und ästhetischen Absichten in einen manchmal

höchst unerquicklichen Gegensatz gerate. Jch erwähne das jetzt allerdings

lediglich, um die Reinlichkeit der Aussprache zu wahren, denn ich bekenne
gern: hier im Bienenbuche treten diese ungünstigen Züge Maeterlincks vor
den glänzenden liebenswerten Seiten seiner Begabung weit zurück — so

^ j. Fuliheft (905_ JHy
 
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