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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 21 (1. Augustheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0549

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A Neue Bücher

Jn Deutschland werden ja jetzt mcht
nnr zu Weihnachten Bücher gekauft;
etwa auch für die Sommerfrische.
Gewiß aber will der Großstädter, der
im Sommer aufs Land, ans Meer
geht, da keine Großstadtromane. Wer
möchte die Dinge, denen er auf
einige Wochen entfliehen will, gedruckt
doch wieder zu sich in die sonnige
Luft, ans Wasser, in den Wald
kommen lassen? Die Bücher, die man
dort lesen will, müssen mit der Um-
gebung doch ein bißchen harmonieren,
also vor allem ebenfalls Erholnng
bieten. Unsre Erholung auf dem
Lande besteht bekanntlich darin, daß
wir armen Telephon- und Asphalt-
wesen wieder einmal eins werden
mit der Natur, der großen Be-
ruhigerin. Eine solche Erholung ist
dann zugleich Verinnerlichung, Ver-
tiefung. Einen Menschen von eini-
gem Geschmack wird man auf dem
Land weder mit hohem Stehkragen
noch mit einem Band Zola an-
treffen. Goethe, Mörike, große Dich-
ter vor allem sind der Natur am
nächsten. Sie können die Reize von
Sonne und Meer, Wald und Feld
erhöhen, vertiefen. Aber es gibt
auch unter neuen Romanen einige,
die aufs Land Passen, gesunder Er-
holung und beschaulicher Verinner-
lichung dienen. Einige unter ihnen
möchte ich diesmal als Lektüre für
die Sommerfrische empfehlen.

Da ist ein neuer Roman von
Friedrich Huch „Wandlungen" (Ber-
lin, S. Fischer). Der „Peter Michel"
desselben Dichters ist den Lesern des
Kunstwarts wohl bekannt. „Wand-
lungen" sind eine Fortsetzung, aber
eine in sich abgeschlossene, des
Romans „Geschwister". Huch ist hier
ein andrer als im „Peter Michel".
Ein paar große Vorbilder, nament-

lich wohl Goethes Wahlverwandt-
schasten, kamen über ihn und machten
ihm zu schaffen. Die „Wandlungen"
haben nicht den schönen Humor und
das aus traumhaften Seelentiefen,
aus dem Unbewußten Quellende von
„Peter Michel", wohin sich der Dich-
ter wohl schon einmal wieder finden
wird. Sein neuester Roman befitzt
dagegen, trotzdem er nicht umfang-
reich ist, eine epische Getragenheit
und Ruhe, wie sie bei jungen Auto-
ren von heute selten gefunden wird.
Langsam zieht der Fluß des Ge-
schehens und trägt die wenigen Per-
sonen des Buches sicher und getrost
zu ihrem Ziel. Auch wenn schmerz-
liche Ereignisse störend eintreten,
schmerzen sie nur vorübergehend,
denn immer fühlt es der Leser wie
einen starken Unterstrom gelassener
Sicherheit, der seine Menschen durch
alle Fährnisse führt, daß sie nicht
vernichtet, sondern vollendet wer-
den. Sie werden erzogen wie die
Menschen Goethescher Romane zu
einem Jdeal, das der Dichter in
sich trägt. Schön sind diese Menschen,
physisch wie seelisch. Jhre Schönheit
wird nur zuweilen durch Leidenschaft-
lichkeit und durch Verhältnisse, in
die sie kommen, ohne daß sie zu ihnen
passen, getrübt. Daß ihnen auch aus
dieser Trübe eine Klarheit werde,
eine Schönheit im Sinne der Griechen,
das ist das Ziel. Die Helden des
Buchs, Cornelie und Hagen, die sich
lieben, erreichen es. Corneliens Bru-
der Jasmin nähert sich ihm. Cor-
neliens Vater und seine Frau Alice,
das unruhige, nervöse Element im
Leben aller, finden einen würdigen
Ausweg aus ihrem Zusammenleben,
das zur Qual wurde. So ist alles
reinlich geordnet, steht, als wir die
Leute verlassen, in guter, gesunder
Luft. „Spannend" ist das Buch nicht.

j. Auguftheft j905 48 t
 
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