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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

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Heft 12 (2. Märzheft 1907)
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Schubring, Paul: Matthias Grünewald
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0845

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liegen die Soldcrten wie Erdschollen; man sieht nichts als Klumpen,
aus denen der bengalische Widerschein slackert. Das Gesicht Christi
ist gelb; die zwei Augen gleichen schwarzen Nadelköpfen. Die Schrift
sagt bei der Lrzählung von der „Verklärung": „sein Antlitz leuchtete
wie Feuer." Rafsael konnte sich bei dem bekannten Bild der vati--
kanischen Pinakothek nicht von der Gesichtsbildung trennen und hüllte
Iesus in weißen Wolkenschein; Grünewald opfert kühnlich das Gesicht,
wir sehen nur eine Feuerkugel. Aber die vergißt man nicht!

Es ist eine unvergeßliche Flucht, diese vier Bilder nebeneinander.
Ls beginnt in dem heimlichsten Kirchengemach und endet in den
Lüften der Osternacht. Kinderlachen jubelt in silberner Fülle; betrübte
Männer stöhnen am Sarg. Dort bei der Verkündigung das Dunkel,
in der Mitte die Symphonie, hier ein Lichtsolo in gespenstiger Nacht.
Mit Riesenschritten schreiten wir durch die Lebensmöglichkeiten, und
der ungeheuerste Wechsel bietet sich im bunten, gedrängten Spiel.
Das Flackern der aufschießenden Christusgestalt hat nicht ihresgleichen
bis auf Rembrandt.

Individuelles Schicksal wird in den beiden Antoniusbildern
geschildert. Die Legende erzählt: Der von den Frauen versuchte Heilige
floh in das sernste Alpental und baute hier im Wüstengrund sich die
Hütte. Aber auch hier fanden ihn die Dämonen und faßten einen
teuslischen Plan. Sie wollten ihn in die Lüfte zerren und dann auf
die Zinken der Felsen fallen lassen, daß sein Gehirn verspritze! Und
nun sehn wir sie am Werke. Man denke nicht an die bizarr-lustigen
Spässe jener Versuchungen, wie sie Cranach, Bosch und Teniers malten,
die eher an den Karneval erinnern; hier handelt es sich um Schlim--
meres. Die Teufel haben den Greis aus der Hütte gezerrt, das Dach
zerstört, die Sparren heruntergerissen — nun dringt die scheußliche
Herde mit den Balken auf den am Boden Liegenden ein und schlägt
zu. Alles, was deutsche Phantastik sich je an Spukgestalten ausgedacht
hat, scheint hier versammelt. Antonius hat nur den einen Gedanken:
die Wurzeln nicht loszulassen, damit sie ihn nicht hochzerren können.
Aber da reißt ihn ein Teufel an dem weißen Haar und tut ihm
so weh — Antonius faßt halb ohnmächtig nach dem Schädel. Im
selben Augenblick beißt ihn ein Schlangenmolch in die die Wurzel
umklammernde Linke — auch da wird er loslassen müssen. Ilnd so
scheint sein Schicksal gewiß. Auch der scheußlichste der Menschheits-
plager fehlt nicht; in Froschgestalt, über und über mit Beulen bedeckt,
erscheint der Dämon der Syphilis. Der hatte seit ^3 im Abendland
Lingang gefunden, war teuflisch schnell überall hingezogen und hatte
schon viele verseuchte Frauen dem Heiligen geschickt, daß er sich an
ihnen zugrunde richte. Ietzt lacht er voll Behagen, daß man dem
Opfer auf andere Weise beikomme. Es knarren die fallenden Balken
der Hütte, dumpf fallen die Schläge der Geister, laut schreit in diesem
fernen, tiefen Tal der arme Greis — sein Schicksal scheint gewiß.
Da sehen wir plötzlich ganz, ganz oben in den Wolken den Ewigvater,
wie er den roten Ritter Georg zur Erde, ins Alpental entsendet,
In den Lüften wird's zum Kampfe kommen. Wird der eine Heilige
es gegen die unheilige Schar aufnehmen können?

Die Rettung gelang dem Wunder. Aber nach jenen grausigen

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