Lrstes Mrtoberbett 1990.
1. Ltncli.
Lrscbeint
cini Anfcnrg und in der Mitte
Detausgeber:
zferdinano Avennrius.
Kestellpreis:
vierteljährlich 2 i/z lNcirk.
4. Znkr§.
Das Lcbema in der Ilrnnst.
G^^LLTfinen bodeutenden Bildhauer führte seine
j?ersönlichkeit dazu, iu der 9chöuheit der
^^^t^Äariechischeu Forinengebung sein Zdeal zu
t^^E^§EiNnden. Trotz dieses Dranges durchaus selb-
stäudig, nüt klarem Auge auch für die Natur begabt,
kräftig iiu beseeleudeu Linpfiudeu, gab er uns in
den f)ahren seiner Oollkraft Gebilde, die in der That
Neuschöpfungen iin 9inne seines Zdeales find:
fie leben voiu Aopf bis zur 9ohle, uud der schöue
Lluß ihrer Glieder uud Gewande thut ihrer Gauz-
heit, ihrem Tiuesseiu vou Meseu uud Lrscheiuuug,
ihrer Mahrheit uicht Tiutracht. Mie aber der
Rüustler älter ward, wie seiue Aufträge fich inehrteu,
die Zahl seiuer 9chüler auschwoll, seiue Araft fich
nüuderte, giug eiue Oeräuderuug nüt ihm vor, die
typisch ift. Zhiu ward der tzünieufluß der Gestalt zur
Ifaupt-, ueiu, zur eiuzig weseutlichen 9ache. Gesetzt,
einer seiner tvchüler hatte unter seiuer ^lufsicht etwa
eiue Aläuade zu bilden. Der Aleifter besah das
Merk, lobte, tadelte, besserte nur uach dem einen Ge-
sichtspunkte, daß der Ahythiuus der Glieder, die
Schöuheit des Umrisses wohlgefällig erreicht werde.
Noch ein paar Zahre später: da stört' es ihn schon,
wenn der 9chüler nur audere verbiuduugeu der Glied-
inaßeu, audere tvtelluugeu iu schöueu Liuieu hervor-
bringeu wollte, als fie au guteu Neispieleu ;u beob-
achteu wareu. Die Gewaudinotive uun gar wurden
nach der schönen Linie koiuponirt, ohne daß inan
sich viel künunerte uin die Alöglichkeit solcher Falteu
bei ebeu dieser 9telluug, uoch selbst uin die Alöglich-
keit solcher Lalten bei eineiu solchen Gewandstüek
überhaupt. Aber inehr. Maren löaltung und Ge-
wand der äußeren Mohlgefälligkeit zu Liebe so grüud-
lich veräudert, daß vou der jauchzeud herschwärineu-
deu Aläuade uur uoch iin Gesicht etwas zu ahuen
war, so sagte der ^ehrende: es braucht fa keiue
Aläuade zu seiu, nuu äuderu 9ie uoch eiuiges iin
Gesicht, sehen 9>ie, dann giebt's eine schöne Aluse.
9o war ihin recht eigentlich das Gewand der Gelena
zur löeleua selber geworden, rein nach äußerlichen
Nezepten kain schließlich ein Ttwas zu 9>taude, dem
der Gegeustaud uur zuin Oorwand seines Daseins
diente, ftatt eines eine Anschauung charaktervoll und
schön verkörpernden, iu der Trscheiuuug eiue 9eele dar-
legeudeu Auustwerks. Das Zdeal eines in herrlichen
^orinen fich bewegenden Leibes war 9>cheina ge-
worden.
Daß der Aleifter selber sich dieser Umwandlung
nicht bewußt ward, ift selbstverftäudlich. Aber auch
die Zuschauer wurdeu ihrer uur zum kleinften Teile
gewahr. Ulan spricht nach wie vor von der „idea-
listischen" Uunft jenes Ulannes, als entspreche fie noch
der früheren, und während nun seelenlose Mede aus
seiueu Arbeiteu gähnt, bewundert inan ihre Zdealität.
Gleich der Ullahrheit ist auch die 9chöuheit ewig.
Ullie aber eiu zeitgeuösfischer 9chriftsteller nüt Necht
sageu durfte, daß die „Mahrheiteu" im Lauf der
Geschichte zu Unwahrheiteu werden — die Anweud-
ungeu jeuer Uüahrheit uäiulich auf die Derhältuisse,
weil diese verhältuisse ewig wechselu — so werden
auch die „Schöuheiteu" nüt der Zeit zu Uuschöu-
heiten: was als volleinpfundene Schöpfung eines
Uünstlers der Derwirklichung seines „Zdeals" nahe-
kain, iin Alltag der Miederholungen wird es zur
äußerlicheu Ulauier. IDeuu die „Mahrheiteu", sagt
jeuer 9>chrrftsteller, allgeiueiu auerkauut fiud, habeu
fie bereits aufgehört, Mahrheiten zu seiu. Ulleuu
die „9chönheiteu", darf mau iin angedeuteteu 9inne
nüt gleichem Nechte hinzusetzen, allgemein anerkannt
find, haben fie meist schon aufgehört, 9chöuheiteu zu
seiu. Mir sprecheu uatürlich uicht vou eiuzeluen
schöneu Nllerken, die nüt der Zeit erst zur Geltuug
— i —
1. Ltncli.
Lrscbeint
cini Anfcnrg und in der Mitte
Detausgeber:
zferdinano Avennrius.
Kestellpreis:
vierteljährlich 2 i/z lNcirk.
4. Znkr§.
Das Lcbema in der Ilrnnst.
G^^LLTfinen bodeutenden Bildhauer führte seine
j?ersönlichkeit dazu, iu der 9chöuheit der
^^^t^Äariechischeu Forinengebung sein Zdeal zu
t^^E^§EiNnden. Trotz dieses Dranges durchaus selb-
stäudig, nüt klarem Auge auch für die Natur begabt,
kräftig iiu beseeleudeu Linpfiudeu, gab er uns in
den f)ahren seiner Oollkraft Gebilde, die in der That
Neuschöpfungen iin 9inne seines Zdeales find:
fie leben voiu Aopf bis zur 9ohle, uud der schöue
Lluß ihrer Glieder uud Gewande thut ihrer Gauz-
heit, ihrem Tiuesseiu vou Meseu uud Lrscheiuuug,
ihrer Mahrheit uicht Tiutracht. Mie aber der
Rüustler älter ward, wie seiue Aufträge fich inehrteu,
die Zahl seiuer 9chüler auschwoll, seiue Araft fich
nüuderte, giug eiue Oeräuderuug nüt ihm vor, die
typisch ift. Zhiu ward der tzünieufluß der Gestalt zur
Ifaupt-, ueiu, zur eiuzig weseutlichen 9ache. Gesetzt,
einer seiner tvchüler hatte unter seiuer ^lufsicht etwa
eiue Aläuade zu bilden. Der Aleifter besah das
Merk, lobte, tadelte, besserte nur uach dem einen Ge-
sichtspunkte, daß der Ahythiuus der Glieder, die
Schöuheit des Umrisses wohlgefällig erreicht werde.
Noch ein paar Zahre später: da stört' es ihn schon,
wenn der 9chüler nur audere verbiuduugeu der Glied-
inaßeu, audere tvtelluugeu iu schöueu Liuieu hervor-
bringeu wollte, als fie au guteu Neispieleu ;u beob-
achteu wareu. Die Gewaudinotive uun gar wurden
nach der schönen Linie koiuponirt, ohne daß inan
sich viel künunerte uin die Alöglichkeit solcher Falteu
bei ebeu dieser 9telluug, uoch selbst uin die Alöglich-
keit solcher Lalten bei eineiu solchen Gewandstüek
überhaupt. Aber inehr. Maren löaltung und Ge-
wand der äußeren Mohlgefälligkeit zu Liebe so grüud-
lich veräudert, daß vou der jauchzeud herschwärineu-
deu Aläuade uur uoch iin Gesicht etwas zu ahuen
war, so sagte der ^ehrende: es braucht fa keiue
Aläuade zu seiu, nuu äuderu 9ie uoch eiuiges iin
Gesicht, sehen 9>ie, dann giebt's eine schöne Aluse.
9o war ihin recht eigentlich das Gewand der Gelena
zur löeleua selber geworden, rein nach äußerlichen
Nezepten kain schließlich ein Ttwas zu 9>taude, dem
der Gegeustaud uur zuin Oorwand seines Daseins
diente, ftatt eines eine Anschauung charaktervoll und
schön verkörpernden, iu der Trscheiuuug eiue 9eele dar-
legeudeu Auustwerks. Das Zdeal eines in herrlichen
^orinen fich bewegenden Leibes war 9>cheina ge-
worden.
Daß der Aleifter selber sich dieser Umwandlung
nicht bewußt ward, ift selbstverftäudlich. Aber auch
die Zuschauer wurdeu ihrer uur zum kleinften Teile
gewahr. Ulan spricht nach wie vor von der „idea-
listischen" Uunft jenes Ulannes, als entspreche fie noch
der früheren, und während nun seelenlose Mede aus
seiueu Arbeiteu gähnt, bewundert inan ihre Zdealität.
Gleich der Ullahrheit ist auch die 9chöuheit ewig.
Ullie aber eiu zeitgeuösfischer 9chriftsteller nüt Necht
sageu durfte, daß die „Mahrheiteu" im Lauf der
Geschichte zu Unwahrheiteu werden — die Anweud-
ungeu jeuer Uüahrheit uäiulich auf die Derhältuisse,
weil diese verhältuisse ewig wechselu — so werden
auch die „Schöuheiteu" nüt der Zeit zu Uuschöu-
heiten: was als volleinpfundene Schöpfung eines
Uünstlers der Derwirklichung seines „Zdeals" nahe-
kain, iin Alltag der Miederholungen wird es zur
äußerlicheu Ulauier. IDeuu die „Mahrheiteu", sagt
jeuer 9>chrrftsteller, allgeiueiu auerkauut fiud, habeu
fie bereits aufgehört, Mahrheiten zu seiu. Ulleuu
die „9chönheiteu", darf mau iin angedeuteteu 9inne
nüt gleichem Nechte hinzusetzen, allgemein anerkannt
find, haben fie meist schon aufgehört, 9chöuheiteu zu
seiu. Mir sprecheu uatürlich uicht vou eiuzeluen
schöneu Nllerken, die nüt der Zeit erst zur Geltuug
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