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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

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Heft 8 (Maiheft 1930)
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Nötzel, Karl: Die Versuchsbühne der Theaterwelt: (das russische Theater)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0111

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als m irgendemem anderen Lande. HinzukommL, daß der Bolschewismus, so-
bald er zur MachL gelangke, im Theater ein Propagandamiktel ersten Ranges
erkannke und rhm darum eine, in keinem anderen Lande denkbare, makerielle
und ideelle Förderung angedeihen lreß. Schon vordem hakke si'ch Rußland, be-
sonders infolge der Gastreisen des Moskaner Künstlerkheakers, zur Führerin
Europas m theakralischen Dingen aufgeschwungen.

Wenn, wie gesagk, der Russe jeden prakkisch (d. h. für das Zusammenleben
der Menschen) verwerkbaren Gedanken niemals wörklich, buchstäblich genng
zu nchmen vermag und ihn bis zu seinen leHLen, mik der Wirklichkeit gar nichk
mehr rechnenden Folgerungen durchzuführen genökigk ist, so bedeukek es doch
andererseiks sür ihn eine innere Unmöglichkeik, sich bei dem Bestehen eines
unausgleichbaren GegensaHes zu beruhigen, seine Iknausgleichbarkeik als Tak-
sache anzuerkennen. Der Russe ist ein Todseind aller bewußk erlebken Span-
nung. Schon deshalb wird er dem wirklichen Leben, das ;a immer aus Span-
nung beruhk, niemals gerechk und bleibk, sobald er seinem steks richkigen Instinkk
nrißkrauk, in Versuch und Dogma stecken. Nmn gibk es aber auch am Theaker,
soferu es ekwas Lebendiges darstellk, zwei Momenke: den Schauspieler und
die Dekorakion, die immer nur gleichsam ausgewogen werden könncn nnd in
deren wesenklicher lknausgleichbarkeik der Spannungsreiz der Bretkerwelt be-
ruhk. Das sind ein stakisches (unbewegliches) und ein dynamisches (gerade eben
aus die Bewegung eingestellkes) Momenk. Bei der Shakespearebühne war
der Schauspieler noch alles, die Dekorakion blieb nur eben durch Aufschrisk
angcdeukek. Auch im Moskauer Künstlerkheaker, als der ersten ursprünglich
russischen Theakerleistung, wird die Dekoration dem Schauspieler insofern völlig
unkergeordnek, als sie im wörklichsten Sinne die wirkliche Ilmgebung desjeni-
gen Menschen wicdergibk, den dcr Schauspicler gerade darstcllt. Daß dabei
in der Auswahl und Zusammenstellung der dekorakiven Einzelheiken auch noch
ein Höchstmaß von stimmungsfördernden Momenken erstrebk und erzielk wird,
sprichk sür das starke Künstlerkum dcs Russen, das ihn gerade in künstlerischen
Dingen zum Welkexpcrimenkakor vorausbestimmk, änderk aber gar uichks an
der grundsätzlichen llnkcrordnung des dekorakiven Teilcs unker den Schauspieler.
Weiker kann man hier wohl nichk gehen. Auch hak es sich erwiesen, daß diese
immer noch vorbildlichste aller russischen Bühnen hier vorläusig aus einen
koken Punkk gerakcn ist. llnd es keunzeichnek den inneren Zusammenhang aller
Bühnenkunst, daß ein Versuch dieser Musterbühne, den dekorakivcn Teil bis
zu cinem gewissen Grade zu verselbständigen, zu einer Disharmonie mik dem
Spiel des Schauspielers sührkc. In den lehken vorbolschewistischcn Jahrzehn-
ken wurde daun — in bewußkem Gegeusah zum Moskauer Künstlcrkheaker —
bei der Mamonkossschen Privakoper (hier wie dork ging die Anregung von eincm
Privatmann aus) auf möglichste Verselbständigung der Dekorakion hingezielk
und hiersür die damals ersten Künstler herangezogen. Auch das sührte zu einem
Fiasko. Dabei war man solgerichkig in der Anpassung des Spielers an das
ihm hier übergeordneke dekorakive Momcnk so weik gegangen, daß der Schau-
spieler, um im Einklang mik dem Flächenarkigen der Theaterdekorakion zu blei-
ben, nur noch slachrcliesarkig aus dem Bühncnbild hervorkreken durste. Er mußke
überhaupk peinlich bemühk blciben, sich scine Dreidimensionalikäk verzeihen zu
lassen, und sich zudem, enksprechend dem Skakischen, in den wirkenden Rich-

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