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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1930)
DOI Artikel:
Hammelsbeck, Oskar: Die Familie, und was das heutige Leben von ihr fordert
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0139

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--usbricht und die WirklichkeiL hereinreißk, was dann „Ausleben aller Triebe"
heißt. In dieser Sackgasse des äslhetischen Lebens ist die Jugend zurzeit
vielerorts gelandet. Die gesunde Familie, von der die gesunde Jugendbewe-
gung als nichk entbehrlich angesehen sein wird, macht aus dieser Situation
eine gesunde Spannung, aus der der Übergang in das ekhische Leben möglich
isl. Das Siktliche wird zur natürlichen Grenze für das Aßhetische, zum ge-
meinsamen Lebensraum. Das hat die alte Familie nicht mehr hergegeben;
deshalb suchke die Iugend in der Altersgrugpe die Erneuerung der persön-
lichen Verbundenheit.

Aber alle Verbundenheitsformen, die uns das heutige Leben läßt, kommen
nicht darüber hinaus, nur zerslückelte, mehr oder weniger vorübergehende
Lebensbeziehungen zu scin*. Es iß ein Lypisches Wahrzeichen des heutigcn
ösfentlichen Lebens, daß wir es nur mit vorübergehenden Bindungen zu tun
haben oder doch nur als vorübergehenden mik ihnen rechnen dürsen. llnd
wcnn wir wirklich in einigen Gruppen, Parteien und Konfessionen längere
Bindungen mit Glaubens- und Gesinnungsgenossen finden, so bleiben dabei
wesentliche Teilc unseres Menschentums ungedeckt, sie sind ofk nur im Schwei-
gen über wesentliche Verschiedenheiten tragbar. Die gelockerke Familie hat es
zugelassen, daß diese gesellschaftlichen Beziehungsformen in unserem
Lcben überhand nahmen und vorherrschend wurden. Sie sind deshalb unker
der Hand auch zur Daseinsform der Familie geworden. Der überbürdete
Arbeitsmensch wehrt sich nicht, daß ihm die Tischzciten zerslört werden und es
keine Regel im Zusammensein der Familie mehr gibt.

Sehen wir dagegen die Familie wieder so an, wie ihre rein nakürliche
Gegebenheit sic geschasfen, so fallcn alle gesellschaftlichen Symptome von ihr
ab, und sie kann wieder nakurgegebene oder besser: kreatürliche Gemeinschaft
sein. Nnch solcher Gemeinschaft sucht eine ewige Sehnsncht des Menschcn;
es gehört zu den Lebensbedürfnissen dcr menschlichen Seele, in der Gcmein-
schaft die volle Lebenserfüllung zn erlangen. Die Familie iß die Gemein-
schafk, die ihrcr 2lrt nach beslimmend isl für diese Erfüllung. Die hervor-
ragenden Beslimmungsmerkmale liegen in ihrem Charakter der Dauer und der
in sich dauernden Gegenwärtigkeit. Nur durch die Dauer, die
getragcn wird von den sittlichen Bindungcn dieser Gemeinschafk, wird die
Lebenserfüllung gewährt. Aber diese Dauer isl nicht zu verßehen als dcr
bloße zeitliche Ablauf eiues glcichmäßigen Geschehens. Es isl vielmehr die
Vergegenwärtigung des gesamken Geschehens im jeweiligen Zeitpunkt, zugleich
in der Spannung zwischen Gewordencm und Werdendem.

Auf die Familie bezogen, heißt das ganz konkret: Kinder haben ein anderes
Lebensalter als die Eltern; und wenn sogar die Großeltern noch nnt dabei
sind, wird die Vergegenwärtigung des Gesamtzeitalters noch
spanmmgsrei'cher. Zeder aus der Familie hat seine eigenen besonderen Be-
ziehungen zum Zeitalter und seinen kulturellen Znhalten. Da aber die Familie
von Natur aus auf das Zukünftige bzw. auf die Zeitgegenwart des jüngslen
Geschlechts in ihr hinweisl, so isl ihr der Wandel in das Gegenwärtige, das
heißt in seine Erfüllung eigen, zum nn'udsten aufgegeben. Bei der Familie

Man lese den wichligen AufsaH von Engen Rosenftock „Symbol und Sitte als LebcnSmächte"
"n Mäezhefk igag dee Zeikschrifk „Oie Erziehung".
 
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