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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

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Heft 8 (Maiheft 1930)
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0160

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Aber gerade in dieser nnvergleichlich höhe-
ren „Stärke" liegt das Krankhafte. Denn
diese Stärke ist das Ergebnis der Verselb-
ständignng der dänwnischen Unterrvelt,
herbeigeführt dnrch das Zurückweichen der
geistigen Kontrolle. Diese Arbeiten, öiese
Gebilde sind allzu wirklich, allzu
dinglich. Sie sind auf eine unerlaubto
Weise dicht und real. Sie sind Feti-
sche, d. h. sie sind nicht Bilder, sondcrn
das niagisch qeladene Ding selbst. Sie
sind — und hier muß ich unvermutet auf
einen Kernpunkt der klassischen Asthetik
zurückgreifen — zu wenig „Schein", und
das bedeutet: sie sind zu wenig auf den
Geist bezogen und von ihm durchleuchtet.
Denken wir an das Wort, an die Spra-
che. Es gibt daö Wort als dichterisches
Wort, und es gibt das Wort als Zauber-
formel, als magisches Jnstrument. Jn
dieser Kunst von Geisteskranken steht nir-
gends ein dichterischeS Wort; es ist immer
Beschwörungsspruch, unmittelbares Zei-
chen der dämonischen, vom Geiste losgeris-
senen Welt. Die Gebilde dieser Kunst wir-
ken als hitzige, inS Ohr geflüsterte Vcr-
traulichkeiten, als unerlaubte, auf die
Dauer höchst widerwärtige Jntimitäten;
nicht alg Rede von Mensch zu Mensch.
ffhre „Stärke" ist die Stärke der loS-
gelassenen Unterwelt, und daS heißt ohne
weiteres: der tödlichen Erschlaffung des
Geistes. Was in der gesunden Kunst als
„Bild" steht, geadelt durch eine geistgebo-
rene Würde des „Scheins", das ist hier
Sache, magisch befrachtet, ungeheuer iden-
tisch mit sich selbst. Einen Schritt weiter,
und diese Gebilde haben den letzten Nest
von Teilhabe am Geist ausgeschwitzt, ha-
ben die letzte Gespanntheit verloren und
die Banalität von Ziegelsteinen dafür ein-
getauscht. Jch habe oben auf Picasso
verwiesen, der gegenwärtig eine zweifellos
schwer schizoide Etappe durchläuft: es
ist meine Überzeugung, daß jedes Bild von
Rembrandt oder selbst Nasfael span-
nungsreicher, rätselhafter, tiefer ist als die
neuen Fetische Picassos, die auf den ersten
Blick so problematisch anmuten. Den
Menschcn geht nur an, was am Geist
noch teilhat. Die moderne Jdeologie des
„starken" Kunstwerks setzt dazu an, un-
sere Kunst aus dem menschlichen Bereich
herauszuführen. Die Nachgiebigkeit ge-
gen schizoide Wallungen ist bedrohlich ge-
stiegen. Jhr muß die Einsicht in letzte
menschliche Grenzziehungcn entgegengesetzt
werden. Und werm irgendwo, so erweist

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sich hier, vor den „starken" Delirien von
Unglücklichen und Zerbrochenen: Grenzen
sehcn und Grenzen innehalten ist die höch-
ste Äußerung menschlicher Kraft, Gesund-
heit und Freiheit.

Wilhelm Michel

RenoirsMeiliungcnübcrseilicKunst
und über die Kunstschriftsteller^

ollard, der bekannte Pariser Kunst-
händler, hat in einem ganz reizenden
Büchlein scine Begegnungen mit Renoir
(16/si—191g) geschildert und zahlreiche
Gespräche mit ihm wiedergegeben. Für
diesen großen Künstler, der niemals dul-
dete, daß man ihn „Meister" nannte, be-
ginnt die Kunst, jede Kunst, nicht nur die
Malerei, gerade da, wo das Wort auf-
hört. Er kann sich gar nicht genug tun
im Abweisen aller unö jeder Kunsttheorien
— und besonders derjenigen des Jmpres-
sionismus, dem er doch selber als eine
seiner Leuchten zugezählt wird: „Jmmer
dieselbe Wut, uns ein unveränderliches
Ensemble von Formen und Vorschriften
aufzuerlegen. Um solchcn Leuten zu ge-
fallen, müßten wir alle dieselbe Palette
haben, der ,SozialiSmus in der Kunst^,
das wäre es! Die Kunst des Malens in
fünfundzwanzig Lektionen!..."

Als ihm einst Vollard aus einem damals
vielgelesenen Buch „Die Regeln des Jm-
pressionismus" die Stelle vorliest: „Ma-
net starb, bevor er noch die ganze licht-
volle Pracht der Teilung des Tones habe
anwenden können" — meint Renoir nur:
„WaS für ein Glück hatte doch Manet,
daß er zur Zcit gestorben ist!" Und als
Vollard fortfährt: „Die Mehrzahl der
Jmpressionisten hätte zweifellos ruhm-
volle Wcrke hinterlassen, selbst wenn sie
sich an die traditionellen Methoden ge-
halten hätte —": winkt ihm Renoir un-
geduldig ab mit den Worten: „Erst als
ich mich vom ,Jmpressioniömuck loszu-
machen vermochte und auf die Lehren der
Museen zurückkam, da crst..." Und er
schließt mit den Worten: Glücklicherweise
wird keine Dummheit der Welt jemals
dem Maler das Malen verekeln."

„Die Wahrheit ist die," meint er bei an-
derer Gelegenheit, „daß es in der Malerei,
wie in jeder anderen Kunst, keinen einzigen
Vorgang gibt, wie unbedeutend er auch

' /cinbroise Vollarä, kenoir. kiäilions 6. Lrvs
et Loinp., psris. — Alle angeführken Texte
ßnd von nnr übecsetzt.
 
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