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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1930)
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Alverdes, Paul: Kleine Reise: aus einem Tagebuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0256

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kommenen DeuLschen schien plöHlich ihr mamngfacher Bruderzwisi wieder
ausgebrochen. Sie begannen wie auf ein geheimes Signal einen wüsten Wett-
lauf nach den Zolltischen, wobei fie sich mik den Koffern nach den Schien-
beinen und Kniekehlen ftießen, übereinanderftürzten, sich schmähken und ein-
ander miL Schirmen und Skecken drohLen, um am Ende mik gestränbken
Haaren und fliegenden Händen ihre Hemden, Socken und Schlafhosen eine
Sekunde früher als der Nachbar vor den übelgelaunken Zöllnern auslegen
zu dürfen.

Danach war der Schnellzug nach Luzern zu ersteigen, ein Kleinbahnzug nach
den Begriffen 'des Reisenden, mik kaum erschwinglichen TrikkbreLkern nnd
steilen, unsiHigen Bänken und einer so dürfkigen Vorrichkung zur Aufnahme
des Gepäckes, daß er seinen Koffer nur anf die Schmalkanke ftellen konnte.
Über das Gefährliche solchen Tuns hakke er von den in sehr derbes schwarzes
Tuch gekleideten Landessöhnen, die in seinem AbLeil saßen, ausführliche Be-
lehrungen anzunehmen. Sie haLLen sehr enge HosenschäfLe und zwiegenähkes
Schuhwerk an den Füßen; alle Lrugen sie flache, gestärkte Liegekragen, die
den Hälsen mehr Raum ließen, als in jedem Falle hübsch anzusehen war, und
jene in der TaL wenig liebsamen BrusteinsäHe aus knochenhark gestärkter
Leinwand oder aus bläulich glänzendem und wie Fenflerglas abwaschbarem
Gummistoff, an die sich als an ein echtes Überbleibsel aus dem bürgerlichen
Fassaden-Zeitalter mancher WortwiH und manche AnekdoLe gehefkek hak. MiL
Zngrimm erinnerte sich der Reisende bei ihrem Anblick an seine KonfirmaLion,
denn ein solcher EinsaH, dazu gestärkte Leinenröhren für die Handgelenke, ein
fchmählich sieifer Huk aus fchwarzem Filz und Glacehandschuhe von der
gleichen Trauerfarbe hakken damals unweigerlich zur geifllichen Nüjlung ge-
hörk, und er war sich um so erniedrigter darin vorgekommen, als er sich bis
dahin einen freien Scholaren oder PachanLen genannk hatke, zu dcren Eigen-
LümlichkeiL es gehörte, Hüte, Kragen, Skrümpfe, Handfchuhe und dergleichen
unker allen Umftänden zu verfchmähen.

Übrigens waren seine MlLreisenden keine Bauern, sondern Bürger aus Zürich,
wie er erfuhr; sie haLLen bäurische HauL und Hände, aber unbäuerisch leere
Gesichker, wenn ungemeine Selbstzufriedenheik und zur Schau gekragene
ÜberheblichkeiL über die Fremden nichk eine Ark von Ausdruck sein sollen.
Jnzwischen fuhr der Zug durch flaches üppig-grünes Land sehr gemächlich
seines Weges; er hielk an den winzigslen Skakionen. Sehr häufig standen
Namen an den Giebeln und Wänden der Häuser: Paradisli, NuhpläHli,
Friedwinkli, Tuskulum, HeimgärLli, Sunneschyn und andere mehr, in denen
sich nichk selken ein Genügen am beschränkLen Raum und eine ArL von WelL-
abgeschiedenheik ausdrückten, oder auch eine ArL von pfiffiger Freude daran,
für seinen Teil genug zu haben, beiseike geschaffk zu haben, zu besiHen, was
kein anderer mehr besiHen konnke. Dem Neisenden war diese Ark von Gras-
gärtleins-Gefühlen von DeuLschland her verdrießlich wohl bekannL. Sie
war ihm niemals eigentlich als Selbst-Genuß erschienen, und auch nicht als
Fluchk vor einer störenden, verwirrenden oder gar unbegreiflichen Welk, son>
dern sie haLLe ihn immer an den Hund denken machen, der sich bei dem Ge-
raufc um die BeuLe seinen Knochen erwischk hat und mik vorher ungeahnker
BeschwingtheiL in sein Gebüsch daniik eilt, um ihn für sich allein zu haben

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