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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1930)
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Alverdes, Paul: Über einige neuere Novellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0294

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das Letzte versuchen und bestehen zu tvollen, sondern geistiger Hochmnt. Er ist vom
Stamm nnd Wesen jeneS Rabbi Eli, dessen Geschichte Albrecht Schaesser in seiner
Ballade vom Gerechten erzählt hat: der nicht begreifen wollte, daß ein schlichter
Mensch, ein Schreiner, „der nie zu erklären gewußt", vor dem Herrn ein Gerechter
heißen könnte.

Nastali wird von seinem Vater zu einem Bauern und Hirten bestimmt. Er dünkt
sich zu Höherem berusen, aber auch die erste große Wende seines Geschickes: Derlust
der Heimat und Entsührung durch Räuber, entsernt den Ungenügsamen zunächst nur
noch weiter von dem, waS die neidische Vergleichung mit den „sein gewandeten Vet-
tern", den „schmächtigen Knaben mit der schnellen und eisrigen Regung sprechender
Glieder", ihn sich selber hatte wünschen und anmaßen lassen. „Sein Wissen um Acker
und Vieh schien ihm nichts gegen die Weisheit jener, der Gleichaltrigen, die Abschnitt
um Abschnitt der heiligen Schristen lasen und, wie er meintk, hinter den schmalen,
bleichen Stirnen eingerollt die Pergamente trugen, mit den allbeschreibenden Zeichen
bedeckt, die er nicht verstand, und gar der Älteren, die in der Deutung nnterwiesen
waren und das Geheimnis gültiger Entscheidungen und mächtiger Gebete eingebannt
trugen in die glühende Nacht ihrer Blicke."

Als ein grobschlächtiger Jüngling, des Lesens und SchreibenS unkundig, als ein
„Reiter", kehrt Naftali aus der Gesangenschaft der Kosaken zu seiner Sippe zurück,
um sich, von seinen hochfahrenden Träumen nur grimmiger heimgesucht, mit der gan-
zen Leidenschast seiner Natur auf daS Lernen zu werfen. Er erreicht auch sein Ziel
und wird ein Rabbi, ein Schristgelehrter. Aber alsbald zeigt sich, daß ihm das nlcht
Nütze und Genügen sein kann, es verlangt ihn nach Macht über das Jenseitige selbst,
als vermöge das allein ihn zu bestätigen. Einem wahrhast Berusenen, mit dem er
zusammentrisst, dem Maggid Abraham meint er den Schlüssel znm Geheimnis der
Geisterwelt selbst mit Gewalt abtrotzen zu sollen, und erwirkt sich am Ende auch
etwas wie cinen Abdruck davon. Allein als er, nach mancherlei Wandlung und Be-
gebenheit aus einem Gipfel irdischer Macht und Ehren angelangt, die Dämonen
endlich herausfordert, da solgen sie seinem Ruf nur, um sich gegen ihn zu wenden
und ihn zu vernichten.

Einem Geringeren als Ludwig Strauß wäre wenig anders übrig geblieben, als diesen
Stoss wie eine Sage oder Legende vorzutragen, wodurch er für uns vermutlich ver-
loren hätte; denn es ist einstweilen nicht mehr die Zeit—oder noch nicht wieder dke
Zeit —, eine Welt von den Stusen zu Gottes Throne aus zu betrachten und lieber
an den Menschen als an den Engeln und Dämonen zu zweiseln. Strauß aber ent-
wickelt alles vom Menschen her, von dieser Gestalt des Nastali und seiner Welt,
und da sie wahr ist, dicht und sest und unverbrüchlich klar gesehen, so kann er ihr
getrost jeden Himmel aus die Schultern laden. Seine Erzählung begibt sich unter
Menschen und nicht unter Cherubim und Dämonen — aber eben daher kommt eö,
daß sie nun sür wahr befunden und geglaubt weröen müssen, als sie endlich aus
ihrem Jenseits in diese Welt hereinwirken.

„Dann kam, mit einem feinen Metallton der springenden Klinke, ein Seufzen aus
der Tür; schon stand sie osfen und mächtiger Schein quoll mit weißen Schwaden ins
Zimmer." Jn diesem einzigen Satz berühren und durchdringcn Jenseits und Dies-
seits einander geheimnisvoll und unauslöslich: „Nichts ist drinnen, nichts ist draußen.
Denn was innen, das ist außen." Jm nächsten wendet sich alles zur Erde znrück,
beginnt die Buße und Reinigung. Nastali bringt das Leben davon, aber nur, um
dem Maggid noch einmal zu begegnen und sich in einer wunderbar symbolischen
Handlung zu seinem eigentlichen Wesen zurückzuläutern. Jetzt ruft er Geister, die
ihm untertan sind, jetzt vermag er auf seine wahre, seine Reiter-Weise sv viel wie
der Maggid aus seine Maggid-Weise, und wie einst der Maggid dem Reiter in
Todesnöten, so vermag jetzt der Reiter dem Maggid in Lebensnöten zu helfen. Dann

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