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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1930)
DOI Artikel:
Alverdes, Paul: Über einige neuere Novellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0295

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findet er in seinen Armen den Frieden, der nunmehr nur noch der Frieden des Todes
sein kann.

Skrauß bewältigt diesen großen Stoss in sieben knappen Kapikeln einer knappen No-
velle. Seine Sprache, an den klassischen Vorbildern der deutschen Prosa-Erzählung
geschult, aber eigentumlich und kuhn sowohl ln der Wahl und Gesellung seiner Worte,
als auch ,'n Takt und Gliederung seiner Sätze, i'st wei'träumig und lichtvoll, wie denn
auch die innere Austeilung und Entwicklung deS Themas, daS langsame und unbeirrte
Steigen auf jenen Angelpunkt zu und der gelassen schöne und ruhige Abstieg nach
der Katastrophe einen Gestalter verraten, der völlig Herr seiner Mittel ist. Hicr und
da mag eine ungewöhnliche Wortstellung aus den ersten Blick besremden und an die
Gewolltheiten und Heftigkeiten einer vergangenen Epoche der neueren deutschen Prosa
erinnern. Man wird jedoch alsbald bemerken, daß diese Erzählung nicht sowohl ge-
lesen, als vielmehr gehört werden muß, und daß das Ohr sosort begreist, wo das
Auge noch stutzt und zaudert. DieS scheint nicht das geringste Kennzeichen einer wahr-
haft dichterischen Sprache zu sein, für die Tinte und Druckerschwärze eben doch nur
einen blmweg bedeuten.

II.

Auch Alexander Gregory, hinter welchem Pseudonym sich eine bedeutende Per-
sönlichkeit des deutschen öfsentlichen LebenS einstweilen verbirgk, zeigt sich in seinem
Novellenband „D i e P... kehrt zu r ü ck"* als einen dankbaren Schüler der
klassischen deutschen Novellisten. Gleichwohl sind seine Arbeiten alles andere als
epigonisch; sie sind vielmehr in mehr als einem Sinne ganz und gar zeitgenössische,
vielleicht sogar zeitbedingte Hervorbringungen, worauf übrigens auch die Neigung
schließen läßt, sich in eigentli'ch epischen, daö heißt aus Abstand gewonnenen Gebilden
sehr vernehmlich kritisch oder satiri'sch über die Gegenwart und ihre kulturellen und
sozialen Zustände zu äußern.

Sehen wir von dem letzten Stück der Sammlung, von „Chamotte" ab, weil in ihm
das Satirische zu überwiegen scheint, so ist allen diesen Novellen beziehungsweise ihren
Gestalten und ihrer Welt das eigentümlich und gemeinsam, daß sich kein Himmel
mehr über ihnen wölbt, oder doch nur ein leerer. Auch Gregory geht wie Strauß
ganz vom Menschen auS; aber während bei Strauß immerhin noch die Vermessenheit
und der Drang eines auch in der Trübung noch Gott und Götter suchenden Gesühls
den Mensthen über sich selbst erhebt, sthlägt bei Gregory die Flamme nach innen und
schwelt dumpf und erstickend im Jnnern sort. Gregory betrachtet die Seelen seiner
Menschen, aber nicht in ihrem Verhalten zu Gott oder einer immerhin wunderbaren
und unbegreiflichen Welt, sondern in ihrem Verhalten zu sich und in sich selber. Die
P..., eine altgewordene und einst hochgefeierte Sängerin, kehrt in ihre russische Hei-
mat zurück, um dort unter sehr merkwürdigen Umständen den Tod zu sinden. Das
wird hervorragend, in einem knappen, herben und sparsamen Stil erzählt, erzählt
von jemandem, dem eben nicht die erste beste Wendung und Passage, wenn sie nur
„sachlich" oder „reportierend" ist, gerade gut genug erscheint, um sie, wo es gerade
passen will, in seine Sätze hineinzustecken. Aber dieses ganze Außen ist nicht not-
wendig und wichtig sür den Vcrsasser: wichtig ist sür ihn die seelische, oder sagen
wir deutlicher, die psychische Dersassung und Entwicklung seiner Frauengestalt und
der ihreS knabenhasten Liebhabers. Und hier ist er mit einer erstaunenden, um nicht
zu sagen beklemmenden Sicherheit und Folgerichtigkeit am Werke. Noch deutlicher
wird das bei der stärksten Novelle dieseS Bandes, „Zerstörtes Leben". Es liegen
>hr Motive und Verkettungen zu Grunde, denen man bisher eigentlich nur in den
Handbüchern und Zeitschristen der Psychoanalytiker begegnete. Allein sie werden in
einer Weise vorgetragen und abgehandelt, die an Wissenschast gar nicht mehr denken

I. EngelhornS Nachf., Stuttgart.

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