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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1930)
DOI Artikel:
Anschütz, Georg: Die Synthese der Sinne in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0450

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paßt. Dieser in sich geschlossene, systeniatische, zngleich nach oben strebende nnd sich
doch wieder in sich znrückziehende, architektonische und konstruktive Geist, der das Alte
znsammensaßt nnd die Znkunft schon im Prinzip vorweggreift, brauchte nach seiner
Derwirklichung in der Baukunst noch Jahrhunderte, bis er sich in der Musik voll
offenbaren konnte. Aber gerade da, wo die Musik sich von allen Beigaben im ge-
wöhnlichen Sinne frei macht, wo sie Text und Programm, Marsch- und Tanz-
mäßiges, Kirchliches und Liedartiges, überhaupt jeden Anklang und jeden Gedanken
an AußermusikalischeS vermeidet, wo sie in diesem Sinne die höchste Jlbstraktion
anstrebt und zur „absoluten" Form wird, da nähert sie sich am ehesten dem inneren
Wesenskern, der allen Künsten gemeinsam ist. Die expressionistische Musik unserer
Tage, so unreif ihre bisherigen Formen sind, hat im Grunde teilweise die gleiche
Tendenz. Sie sucht nach einem hinter allen äußeren Erscheinungen verborgenen Kern,
demselben, der auch den entsprechenden Richtungen der Malerei zugrunde liegt.

Man hört oft die Meinung, daß die Musik viel jünger sei als die bildenden Künste.
Diesc Ansicht beruht auf einem merkwürdigen Jrrtum. Denn man erfaßt dabei
nicht das Wesentkiche, sondern nur die äußere Erscheinungsform. Musik ist nicht
Raum-, sondern Zeitkunst. Sie wurde nicht, wie etwa die Malerei, räumlich firiert,
sondern war in ihren ursprünglichen Formen dem Menschen eine unmittelbare Lebens-
äußerung, deren Verlauf und Gestaltung man dem Zufall und Einfall überließ.
Farben und Formen erhalten sich durch die für ihre Darstellung verwendete Ma-
terie. Töne und Geräusche verklingen und sind fort mit dem Augenblick, in welchem
das Musizieren aufhört. Die schriftliche Fixierung und Notierung kam daher in der
Musik erst spät, sie bedeutete ein Übergreifen auö dem Gebiet der Zeit in das des
Raumes. Die Malerei bedurfte in diesem Sinne keiner inneren Umstellung. Jn der
neueren Kulturentwicklung des Abendlandes ist die Musik in vielem sogar den an-
deren Künsten vorausgeeilt. Mögen immerhin Töne und Geräusche von Natur aus
leichter eine Abstraktion gestatten, so waren doch auch sie ursprünglich bedeutungs-
erfüllt. Sie entstammten der menschlichen Stimme und verfolgten den Zweck einer
unmittelbaren oder mittelbaren Kundgabe in Afsektlaut und Sprache. Aber die
Musik gelangte schon früh, und zwar mindestens im 18. Jahrhundert, zu eincr Selb-
ständigkeit und Abstraktion, nach der erst die Malerei unserer Tage sucht. Während
die Töne schon um ihrer selbst willen erklangen und einen eigenen Staat bildeten,
befand sich die Farbe durch Jahrhunderte und Jahrtausende im Dienste der gegen-
ständlichen Künste. Sie erscheint von den Geräten, den Götzenbildern, den Kleidern
und Wafsen der Urvölker ab bis zur Malerei der Romantik als auöfchmückende
Beigabe und als ftimmungerregendes Element an Gegenftänden des Lebens, ohne
absolute Eigengesetzlichkeit zu erlangen. Höchstens im Mosaik der Byzantiner, im
Ornamentalen und den bunten Kirchenfenstern kann man Ansätze zu ganz unab-
hängiger Gestaltung erblicken. Aber auch hier herrschen die Bedeutung, das Praktische,
das Religiöse vor. Eine reine und freie Farbenkunst entsprechend der Fuge und
Sonale gibt eS nicht.

Jm JmpressioniSmuS und Expressionismus der jüngsten Zeit haben wir die ersten
ernsthaften Ansätze, auch auf dem Gebiet der Farbe eine selbständige und zukunfts-
reiche Kunst zu begründen. Diese Tatsache bleibt auch dann bestehen, wenn jene
Kunstrichtungen in sich zusammenfallen und anderen Tendenzen Platz machen, wie
man es gegenwärtig erlebt. Mag immer eine „neue Sachlichkeit" oder eine andere
Welle kommen. Das Problem einer reinen Farbenkunst wird sich nicht mehr fort-
wischen lassen. Sein Sinn besteht darin, daß nunmehr alleS Farbliche nicht nur an
vorgeschriebene Formen konkreteren oder abstrakteren Charakters gebunden erscheint,
sondern daß die Farbe eigene Gesetzlichkeiten verfolgt.

Man hat in neuester Zeit an vielen Orten unabhängig voneinander Versuche unter-
nommen, eine solche Farbenkunst zu begründen. Wenngleich erst Anfänge vor-

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