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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1930)
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Anschütz, Georg: Die Synthese der Sinne in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0451

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liegen. so si'nd doch die vorläufigen Ergebnisse überraschend. Oskar Rainer ,'n Wien,
Rndolph Gahlbeck in Schwerin und Gertrud Eckermann i'n Jlltona verwendeken bei
solchen Versuchen an ihren Zöglingen musi'kalische Eindrücke, um etwa fußend auf
der neuerlich oft behandelten Fähigkei't deS „Farbenhörens" den Si'nn für reine
Farbenzusammengehörigkeit und Farbenharmonie zu fördern. Christoph Natter m
Jena verfuhr ähnlich, teilweise richtete er auch sein Augenmerk auf reine Farben-
harmonien, ohne andere Eindrücke. Hilde Käul m Hamburg schuf selbst eine Menge
von Farbenkompositionen, die sich weder einem bestimmten Stil unterordnen, noch
aber direkt durch Musik hervorgerufen wurden, trotzdem aber jenes abstrakt „musi-
kalische" Element in sich tragen, daS wohl jede reine und durch keinerlei äußerliche,
womöglich bedeutungserfüllte Form beeinflußte Farbenkomposition enthalten wird.
Die Verbindung jedenfalls, die man hier zwischen rein farblichen Elementen einerseits,
musikalischen Faktoren andererseits findet, bedeutet WesenSverwandtschaft der Künste
untereinander, nicht aber das Dominieren oder die Abhängigkeit der einen von der
anderen. Diese innerste Derknüpfung zeigt sich erst dort, wo auf beiden Gebieten
die größte Abstraktion erreicht wird. Es leuchtet ein, daß eine derartige Berbindung
von einer solchen himmelweit unterschieden ist, die sich rein äußerlich aufdrängt: Stim-
men und Laute, Geräusche wie Sausen, Brausen, Plätschern usw. mögen zu Ge-
stalten von Menschen und Tieren, zum Anblick von Landschaftlichem oder sonst
„Naturalistischem" gewohnheitsmäßig gehören. DaS ist keine WesenSverwandtschaft.
Eine solche ist ganz anderswo zu suchen. Das ist ein Problem, das in unseren Tagen
auch die Gestaltung des Tonfilmes in seinen höheren Formcn beeinflussen sollte.
Wenngleich die Musik eine Zeitkunst ist, so liegen doch ihre höchsten Wirkungen in
Bezug auf Geist und Gefühl im llberzeitlichen. Erst die nachträglich, nach dem
Hören und Aufnehmen erwachsenden Gesamtwirkungen, das Total-gegenwärtig-haben
zeigt uns die Eigentümlichkeiten, den Sinn und den Stil des Ganzen. Auf Grun-
solcher Jdeen oder Gesamtvorstellungen ist erst daö Urteil über musikalische Werke,
ist erst die Nezension und Kritik in Presse und Zeitschrift, ist erst das Gesamturteil
des Asthetikers und Philosophen möglich. Genau wie aber das Wesen der Musik
somit sowohl Zeitlichkeit als auch Überzeitlichkeit bedeutet, so weist eine abstrakt
räumliche Farbenkunst über sich selbst hinaus. Jhre Wirkungen können weit über
daS ruhend Bildhafte gesteigert werden in der bewegten abstrakten Farbenkunst.
Auch hier haben wir schon zahlreiche Versuche, Neues zu schasfen.

Zwei Hauptrichtungen stehen gegenwärtig noch nebeneinander. Die eine ist der
Wille zu einer reinen abstrakten Farbenkunst, die in Form der Projektion oder der
Verbindung vieler Projektionen auf eine einzige Leinwand bzw. auf ein System von
Schleiervorhängen, sei eS im eigens dazu erbauten Kuppelsaal, sei es vorlänfig auf
der Bühne, die Wirkungen deS entstehenden, verschwimmenden und verklingenden
bunten Lichtes und der Vereinigung, Ablösung und gegenseitigen Aufhebung seiner
einzelnen Elemente zur Basis hat. Schon vor mehreren Jahren versuchte Walter
Ruttmann derartiges durch den abstrakten Film zu erreichen; ähnlich arbeitet Hirsch-
feld-Mack mit einer eigens konstruierten Apparatur. Theoretische Gedanken wurden
auch sonst vielerorts geäußert, wie von Adolf Lapp (Frankfurt a. M.), Wilhelm
Merz (Berlin), Fritz Ohse (Braunschweig), H. Stoltenberg (Gießen) u. a. m.

Eine andere Richtung sucht das mehr oder minder abstrakte Farbenspiel mit Musi?
zu verbinden, was oft auS gänzlichem Mißverständnis herauö angefeindet wurde,
da hier noch etwas im Werden ist. Dahin gehören die vielen historischen Dersuche
seit Pater Castel (17Z2) bis auf die Gegenwart, als Alexander Läszlö, zunächst auf
Scrjabin fußend, an die breitere Offentlichkeit trat. Heute bemühen sich auf diesem
Eebiete außer Hirschfeld-Mack noch Vietinghof-Scheel (Graz), Peäanek (Prag),
Gchmeer (Nürnberg) u. a. m. Die Zukunft muß erweisen, was von allen diesen
Versuchen bleibende Werte besitzt.

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