Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1894)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0181

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext



fK

liche Reste auf uns gekommen, — warum vou deu zu-
gehörigeu Gebäuden gar nichts?

Wir wissen sreilich, daß der Konkordientempel als
Sitzungssaal des Senats, der Saturntempel den Quästoren
als Amtslokal diente, daß das Tabularium nicht nnr
Archiv, sondern auch der amtliche Aufenthaltsort der
Tribunen und Aedilen war, und von dem Vorhandensein be-
sonderer Abstimmungsräume haben wir nicht nur literarische
Nachweise, sondern in Pompeji (in der sog. Schola am
Forum) ein greifbares Beispiel. Man könnte versnchen,
die Basiliken als monumentale Gebäude für ganz all-
täglichen Zweck uns entgegen zu halteu, aber es ist längst
uachgewiesen wordeu, daß man bei ihnen keineswegs an
Markthallen in unserem heutigen Sinne zu denken hat;
es ist ja auch durchaus unwahrscheinlich, daß der Jtaliener,
der heute noch sogar seine Werkstatt am liebsten auf
die Gasse verlegen würde, zn römischer Zeit für den
Handel mit L eb en s mitt eln geschlossene Häuser aus-
gesucht hätte! Der Schwerpunkt der Basilika lag unzweisel-
hast, wie auch ihr baulicher Organismus bestätigt, in der
eingebauten Gerichtsstätte des Prätors nebst Gefängnis;
daneben diente sie als Zusammenkunstsort der Börsen- und
Geschäftsleute.

Versucht man es, die bisher anfgezählten Gebäudearten,
von denen uns Beispiele erhalten geblieben sind, nnter
cinen gemeinsamen Gesichtspunkt zu bringen, so sindet man,
daß es alles Gebäude wareu, dereu Zweck sie unwandelbar
an einen bestimmten (geheiligten) Platz verwies, wie die
Tempel, oder in der Ausführung eine gewisse Repräsentation
erforderte (Kaiserpaläste, Thermen, Gerichtshaus uud
Theater). Vitruv spricht es auch direkt aus, daß an
bevorzugter Stelle (am Forum) das Schatzhaus (d. h. der
Tempel), der Kerker (d. h. die Basilika) und die Curia
(das Rathaus) zu erbauen seien, während schon durch die
Art seiner Besprechung anderer össentlicher und namentlich
privater Bauaufgaben er zu verstehen giebt, daß er ihnen
wenig architektonischen Wert beilege. Bestätigt wird diese
Ansicht z. B. durch das, was wir nach Bellori ^Jchno-
graphia) vermuten können und durch den marmornen
Stadtplan mit Sicherheit wissen von den Horrea (öfsent-
lichen Getreidespeichern) Roms und was die größte Ein-
sachheit der Architektur bestätigt; wurde doch in der That
für derartige Bauten in Rom der Lehmziegelbau gegen
den Backsteinbau erst gegen das Ende der Republik ver-
tanscht.

Die Renaissance nahm diesen Fragen gegenüber viel-
fach einen anderen Standpunkt ein. Mit der höheren
Wertschätzung auch anderer Städte außer Nom, sowie des
einzelnen Bürgers außer dem Zäsar, mußte auch eine
andere Auffassung des Wertes städtischer Gebäude und
bürgerlicher Behausuugen Platz greisen. Dazn kam, daß
die Art zu wohnen schon bald nach der Völkerwanderung
eine ganz andere geworden war, denn wenn es auch in
römischer Zeit nicht an mehrgeschossigen Wohnhäusern ge-
fehlt hatte, so war für den vornehmen römischen Wohnsitz
doch die erdgeschoßhohe Anlage, ohne Fenster, ja ohne
Fassade nach außen, auf schmalem, uach der Tiefe sich
lang ausdehnendem Bauplatz das einzig Deukbare. Ganz
andere Bediugungen uud uicht zuletzt auch strategische
Gründe sprachen im Mittelalter für hoch aufgetürmte
Häuser, und die Reuaissance mußte mit diesen gegebenen
Verhältnissen rechnen. An klassischen Vorbildern hierfür
aber fehlte es gänzlich, und auch die branchbaren Motive
aus römischer Zeit (vom Kolosseum, von den Septizonien

und Triumphbögen) waren bald erschöpft. Noch schlimmer
stand es hinsichtlich der kirchlichen Bauaufgaben, die originell
gelöst sein wollten und es nach der Ansicht mancher (in
klassischem Stil) hente noch nicht sind, weil die heidnische
Tempelarchitektnr kaum für die Fassade, geschweige denn
sür den Grundriß hier als Muster zu gebrauchen ist. —
So versagten die antiken Quellen in allen den Fällen,
wo die Renaissance bauliche Bedürfniffe zu befriedigen
hatte, welche die Alten nicht gekannt hatten, z. B. bei
Hospitälern, Klöstern, den eigenartigen Scuoli usw., oder
wo diesen eine monumentale Lösung der Aufgabe nicht
angezeigt erschienen war. Aber das tö. und t6. Jahr
hundert verstand es, mit dem ihm anvertranten Pfund
antiker Ilberreste so vorzüglich zu wuchern, daß wir immer
nnd immer wieder bei diesen Schatzgräbern und Jnter-
preten des Altertums in die Lehre gehen, wenn es sich
um Aufgaben handelt, die auch sie schon zu lösen hatten.
Werden uns aber Ausgaben gestellt, von denen ein
Brunellesco, ein Alberti oder Bramante sich nichts
träumen ließen, etwa ein Bahnhof, ein pathologisches
Jnstitut oder ein Elektrizitätswerk, so versagen auch diese
Vorbilder und wir sind genötigt, sür den modernen Bau- >
gedanken den möglichst klassischen Ausdruck in Grundriß
und Fassade selbst zu ersinden. Aber welche Mißgriffe
lausen, dabei mit unter! Nur ein Beispiel. Trotz der
genauen Beschreibungen von den triumphalen Einzügen
der Feldherren und Zäsaren in Rom wissen wir doch
nichts von den Augenblicksbauten, die dort für solche Zwecke
errichtet wnrden. Jmmerhin dürsen wir von dem ernst-
haften und stilistisch richtig sühlenden Römer die Über-
zeugung haben, daß er die Form der Triumphbögen, wie
sie uns vieler Orten seines einstigen Reichs, überall in
köstlicher Ausstattung, erhalten geblieben sind, sicher nicht
in Balken, Brettern, Gips und Leinwand nachgeahmt und
dem Triumphator als „Ehrenpforte" wird an den Weg
gestellt haben; — wenn wir heutigentags es so machen
(z. B. beim Kaiserbesuch in Leipzig), so ist es ein bedenk-
liches Zeichen für das Kunstgefühl unserer Zeit, wenn
solches Thun nicht als Karikatur empfunden und verurteilt
wird. Denn ein solches Surrogat-Monument mag sür
einen Schützenkönig genügen; einem wirklichen Jmperator
aber gebührt auch eine wirkliche Ehrenpforte, für deren
künstlerische Gestaltung dann freilich andere Motive als
die des Steinbaues zu wählen oder zu erfinden sind. (Wir
erinnern hier nur an die trefslichen Augenblicksbauten von
der Dresdener Wettinfeier.) —

Aber: wir wollen eben vielfach klassischer sein als die
Klassiker selbst. So lobenswert auch Gründlichkeit und
Gediegenheit bei dcr Planung und Ausführung von Ban-
werkcn sein mag, so giebt es doch sicher eine ganze Reihe
von Aufgaben, bei denen schon den Alten eine monumentale
Behandlung nicht in den Sinn gekonnnen wäre. Wir
wollen hier nicht aufs Neue an den unverstandenen, un-
wahren nnd lächerlichen Architekturaufputz unserer modernen
Wohn- und Miethänser erinnern; das Gefühl für die
Geistesarmut und Verlogenheit, die sich vielfach darin
verrät, fängt zum Glück an, sich immer weiterer Kreise,
auch der Nicht-Fachleute, zu bemächtigen.

Es soll gern zugegeben werden, daß ein neuer Baustil
sich nicht nach Bedarf erfinden und einführen läßt und
daß uns deshalb, wenn wir „stilvoll" bauen wollen, keine
andere Wahl bleibt als die, aus die alten Vorbilder zurück
zu greifen. Aber find denn alle Falle, in denen dies
geschieht, auch derart, eine monumentale Ausfassung not-




— -
 
Annotationen