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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI issue:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
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Panzer, Friedrich: Jacob Grimm
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0021

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den ewig gleichen Sternen sich trösten, durch eine Antrittsrede „ve äesi-
äsrio pLtriÄtz" das Heimweh sich wegreden mußte. Es kam dazu das
willige Sichbescheiden in der heimischen Enge, dem kein Bestaunen der
Schweizer Berge, dem Himmel und Meer Italiens nicht die tiefe Freude
„des Daheimgebliebenen" hätte ersetzen mögen, „dem sein Apfelbaum im
Hausgarten jährlich blüht und die Finken daraus schlagen^I kam jene
Andacht zum Unbedeutenden, die Boisseree an ihm verspotten wollte, und
die doch seine wie aller Philologie höchste Tugend war; kam seine bei
aller Sprödigkeit gegen individuelle Poesie ties poetische Anlage, die ihn
in den unbedeutendsten und mannigfaltigsten Dingen immer die Seele
sehen ließ; kam jene eigenwillige und doch ergreifende Sprachgewalt, die
in so mancher seiner Vorreden so wunderbar und ergreifend sich auswirkt,
kam endlich eine von dem unbeugsamsten Fleiße getragene, ungehenre
Kraft wissenschaftlichen Erkennens und Verknüpsens.

Sein Ziel war allenthalben mehr das Gemeine, Völkische, als das
Einzelne, Persönliche, und er hat es durch alle seine Erscheinungsformen
mit unermüdlichem Eifer und einer nicht genug zu bewundernden Fähig-
keit, das Ganze im Kleinsten zu erblicken, verfolgt. Der Vorzeit, die jenes
Gemeine in ungestörter Reinheit im Schoße hegte, galt dabei vor allem
seine Liebe, seine Ausmerksamkeit; sie in der Gegenwart wieder zu finden,
aus ihr wieder herzustellen war sein eifrigstes Bemühen. In solchen Ab-
sichten hatte er mit dem Bruder in den Märchen (s8s2—W und den
Deutschen Sagen ((8(6) die volkstümliche Aberlieferung gesammelt und
bearbeitet, um in ihr den Widerschein urältester Mytheu uud Sagen aus-
zusangen. So wandte er in der Deutschen Grammatik, deren erster Band,
(8(9 erschienen, den 52 jährigen gleich in die Reihe der bedeutendsten
Gelehrten aller Zeiten stellte, der umfassendsten Sprachbetrachtung sich zu,
um darzutun, „daß unsere Voreltern bis in das Heidentum hinaus keine
wilde, rauhe, regellose, sondern eine seine, geschmeidige, wohlgefügte Sprache
redeten, die sich schon in frühster Zeit zur Poesie hergegeben hatte". So
wollte er durch seine Deutschen Rechtsaltertümer, (828, zeigen, daß unsere
Ahnen „nicht in verworrener, uugebändigter Horde lebten, vielmehr eines
althergebrachten, sinnvollen Rechts in freiem Bunde, krästig blühender
Sitte pflagen". Und er legte (855 in seiner Deutschen Mythologie dar,
„daß ihre Herzen des Glaubens an Gott und Götter voll waren, daß
heitere und großartige, wenngleich unvollkommene Vorstellungen von
höheren Wesen, Siegesfreude und Todesverachtung ihr Leben beseeligten
und aufrichteten«. Und er hätte wohl noch nach mancher anderen Seite
ausgegriffen, hätte nicht das große Unternehmen des Deutschen Wörter-
buchs, das (852 zu erscheinen begann, ihn ganz in Anspruch genommen.
Ein Werk, das die vereinzelten Kräfte auch dieses Riesen überstieg- zwei
Generationen von Gelehrten haben nun nach ihm daran gearbeitet, und
noch werden Iahre vergehen, bis wir seiner Vollendung uns freuen
dürfen.

Die Zeit hat von dem, was Iakob Grimm gebaut hat, manches abge-
bröckelt, hat manches zurechtzurücken gefunden, hat auch Wassers genug
in den Wein seiner begeisterten Lehre gegossen. Oft mit Recht — zuweilen
auch mit Unrecht. Aud irre ich nicht, so ist Iakob Grimms Stern gerade
augenblicklich in der Wissenschaft eher in hellerem Aufleuchten begrifsen.
Man ist in manchen Einzelheiten zu seiner Auffassung zurückgekehrt, zum
Beispiel bei der Tiersage, wo seine lange abgelehnte Behauptung volkstüm-
 
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