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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0113

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nicht zu Bette wollen, oder der
Krieger, der sterben muß, oder Wo-
tan zu Brünhilde, die nach der
Meinung der neunjährigen Schrei--
berin alle Ilrsache hat, sich auss
„guten Morgen" zu freuen. „Denn,
da stand vor ihr ein Iüngling. Man
sah ihm an, daß er ein Held war.
Brünhilde wurde vollends wach. Ich

— ich — sie dachte nach.... Ich
bin Brünhilde die Walküre Wo-
tans. Und wo bin ich denn? — Du
bist aus einem hohen Felsen und ich

— habe dich befreit! — Willst du
meine Frau werden? —Was konnte
Brünhilde andres tun als »ja«
sagen?"

Freilich, das Wecken muß ver-
standen sein. Besonders in der
Schule. Lebendige Aufsätze macht
nur, wer selber lebendig ist. Wie
man's wird, läßt sich zwischen
den Zeilen des reizenden Aussatzes
lesen, worin dieselbe Volksschul-
lehrerin nach vier Iahren von ihren
Kindern Abschied nimmt: „Wir
sitzen so sröhlich beisammen." Was,
sröhlich! Geradezu wahnwitzig ver-
gnügt sitzen sie dort, ich hab es
selber gesehen — und mit der Leh-
rerin gefragt: „Ich begreife ja,
Hans, daß du erzählst, bei euch
habe es gestern Sauerkraut gegeben,
ich begreife das vollständig — aber
daß du es so g l ü ckst r a h l e nd
berichtest? Und dabei ist Sauer-
kraut nicht einmal sein Fall!
»Schmeckt viel Zu bitter«, sagt er.
Worüber also sreust du
dich?" — Es bedürfe keines psy-
chologischen Scharfblickes, das her-
auszufinden, meint die Lehreriu:
Die Gemeinschast sei es, die
srohe gesunde Gemeinschast wahr-
hafter Zusammengehörigkeit, die den
geringsten Vorfall als sreudiges Er-
eignis einpsinden lasse. Und sie
bittet die Eltern, diese Gemeinschast
pslegen zu helsen, indem sie zum
Beispiel den Kleinen daheim Ge-
legenheit schassen, das in der Schule

stets unterbrochene Pausenspiel voll-
enden lassen, nicht in seierlicher
Einladung um eine Fresserei her-
um: Staatskleid, Ball, Tombola —
sondern im einfachen Schulschürz-
chen, den Apfel zur Hand, irgend-
wo, da es nichts zu zerbrechen gibt.
— Und wie sein warnt sie davor,
dieses Glück der Gemeinschast zu
untergraben durch ein unvorsich-
tiges: „Sieh mal, wie schön, wie
gescheit, wie brav, wie musterhast
ist das Kamerädlein und du?" —
oder gar durch ein hastig miß-
günstiges: „Hat vielleicht jemand
noch eine bessere?^ wenn das Kind
strahlend seine gute Note vorweist.
„Wollte man doch endlich verstehen,
was die Schulkameraden dem Kinde
bedeuten. Nicht Vergleichsobjekte
sind sie, abscheuliche Streberei zu
züchten. Sondern Freunde, in deren
Gesellschast man mit Lust arbeitet
und Müdigkeit und Abspannung,
die typische Erscheinung des Linzel-
unterrichtes, nicht aufkommt: Ge-
fährten, deren mannigsaltige Inter-
essen anregend wirken aus eures
Kindes Geist, deren Lernlust sie
mitreißt, deren Lachen sie ansteckt;
wunderbare kleine Pädagogen, deren
naive Fragen dem Lehrer neue
Bahnen weisen, wo sein verwickel-
teres Denken den Weg zur Kinder-
seele zu versehlen droht; deren mun-
teres Geplauder Leben bringt auch
in den trockensten Lehrstofs: Kame-
raden, mit denen es sich um die
Wette rechnen, singen, schreiben,
turnen, lesen, scherzen läßt." Wie
beweglich bittet sie die Eltern, keine
Hetzpeitsche in die Hand dessen zu
drücken, der so gerne schonsam mit
stets muntern Rößlein vorwärts-
traben möchte. — Für einmal glaubt
sich die treue Führerin wieder an
dem ihr gesteckten Ziel: da muß in
letzter Stunde doch noch etwas ge-
lernt werden, sie muß es lernen:
seuchten Auges ^u lachen nämlich.
Denn wer könnte ernst bleiben bei

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