Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1913)
DOI Artikel:
Natorp, Paul: Freideutsche Jugend
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0135

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt, ja entstellt werde. Sie
glauben zu beobachten, daß einzelne suggestionskräftige Führer dieBewegnng
in fremde Bahnen zu reißen, sie vor den Karren ihrer eignen Liebhabereien
und Sonderabsichten zu spannen im Begrisf sind; auch daß jene köst-
liche Unbefangenheit unblasierten Sich-darlebens vielsach schon in geistige
Verarmung auszuarten droht. — Gewiß wird man, je mehr man einen
gesunden Grundzug in dieser Bewegung zu erkennen glaubt, nm so ängst-
licher besorgt sein, daß nicht auch diesem Herrlichen, das der Geist der
Iugend empfangen, immer fremd und fremder Stoss sich andränge. Aber
man dars vertrauen. Ich kann keine falsche Prätention in dieser Bewegung
erkennen. Man glanbt nicht am Ziel, sondern gerade erst am Anfang
zu stehen; man will gern, vielleicht schon etwas zu gern, guten Rat an-
nehmen.

Ich versuche eine Scheidung festzuhalten, die so klar in der Sache
begründet ist, daß sie praktisch gewiß längst schon beobachtet wird, und
ohne Zweifel in deutlicherer Bestimmtheit noch sich durchsetzen wird: zwischen
der Stufe der frühen Iugend, das heißt der letzten der Abschlußprüfung
voraufliegenden Iahre des Schulalters, nnd der akademischen
Iugend. Die erstere, meine ich, tut ganz recht, bloß erst Kräfte zu
sammeln, Kräste des Körpers, des Geistes, des Willens, des ganzen Ge-
mütes; noch bloß sie zu sammeln in der Stille und heiligen Stimmung
reiner Empsängnis, vorahnenden, vorfühlenden Lauschens, sehnsüchtigen
Harrens; um dann, wenn der Tag der Reife gekommen, mit einem klaren,
festen „Ich will" hervorzutreten und zum harten Kampfe des Lebens sich
zu stählen durch die strenge Schule der Wissenschast, der praktischen, be-
sonders svzial-praktischen Arbeit, der ernsten Kunstübung, der Vertiesung
auch des religiösen Bewußtseins in gründlicher Selbstprüfung und Rechen-
schast. Zu dem allen wird die Iugend, gerade wenn sie die Zeit des
stillen Knospens in völlig reiner Hingabe durchlebt hat, die strasse, aus-
harrende Lnergie der Kräfte, und Wahrheit, Tapferkeit, Reinheit der
Gesinnnng mitbringen. Sie wird dann, so hofsen wir sest, dem studentischen
Leben ein anderes Gesicht geben, mit den üblen Trinksitten und manchem
überlebten, dem Ernste der Zeit nicht mehr angemessenen, pseudoromantischen
Treiben gründlich ausräumen, neue, sachlichere, damit auch ästhetisch reinere
Formen der Geselligkeit und des Verkehrs schaffen und sie mit dem tiefen
und bedeutenden Gehalt, den die Universität nnd die andern Hochschulen
zu bieten vermögen, zu erfüllen bestrebt sein. Ansätze dazu sind schon da,
nnd der klare Wille ihrer Weiterführung. Für jetzt will man „getrennt
marschieren", aber, im Bewnßtsein sachlicher Zusammengehörigkeit, des
inneren Zusammenschlusses, der „brüderlichen Erkennung und Anerkennung"
sich freuen. Das Meißnerfest soll dem Ausdruck geben.

Gewiß noch manches Bedenken läßt sich erheben. Linen ziemlich stark
romantischen Anstrich hat noch das Ganze. An die alte Burschenschaft,
an das Wartburgsest wird erinnert, überhaupt — wie die Zeit es ja
gibt und wie es auch wohlbegründet ist — der Geist von jösZ zitiert, zu
dem man sich mit Nachdruck bekennt. Man will (das braucht kaum gesagt

(00
 
Annotationen