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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1913)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0161

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Nach der Schlacht bei Iena

Hr ls Patriot seufze ich. Man hat in Zeiten des Friedens viel vernach-
^lässigt, sich mit Kleinigkeiten abgegeben, des Publikums Schaulustig-
keit gefrönt und den Krieg, eine sehr ernsthaste Sache, vernachlässigt.
Der Geist der Offiziere ist vortrefflich, und hieraus kann ich große Hoff--
nung versprechen, aber, aber .... Was die Franzosen ferner tun werden,
weiß ich; was wir, weiß ich nicht. Ich habe den Angriff längs der Saale
längst vorausgesagt. Allein ich seufze in den niederen Graden, nnd mein
Wort gilt nicht. Das Herz ist mir beklemmt, wenn ich die Folgen berechne.
O Vaterland, selbstgewähltes Vaterlandl Ich bin vergessen in meiner
kleinen Garnison und kann nur für selbiges fechten, nicht raten.

Grimmige Laune s807

^ie Zeit ist trübe für Kabinetts- und Privatleute. Von meiner Familie
^habe ich nicht eine Zeile seit dem September. Wir machen Bankerott
am Vermögen, so wie andere am Verstande. Doch mnß man die Hoff-
nung niemals sinken lassen, solange man noch gesund ist und tüchtig
fechten kann. Das will ich noch treulich tun. Von zwei Dingen ist nnr
eins möglich. Das Schiff geht entweder zugrnnde oder besteht den Sturm.
Wären wir fernerhin unglücklich, und . . . und ich überlebe die Katastrophe,
so sind Sie keinen Augenblick sicher, daß nicht einmal ein vazierender
Offizier mit einer Narbe im Gesicht anpocht und sein: GelobtseiIesus
Christus! in Ihr Zimmer schreit. Halten Sie mir dann eine Amt-
mannsstelle beim reichen Vetter in Lissabon — nein, in Dänemark bereit.
Ich will ihm treu und brav dienen.

Meiner Frau kann ich keine Nachrichten zubringen. Vielleicht sendet
irgendeine barmherzige Seele ihr Nachricht von mir. Sie wohnt zu Mittel-
Kauffnng bei Hirschberg in Niederschlesien mit ihren sechs Kindern, von
denen ich nicht einmal weiß, ob es drei Buben und drei Mädchen oder
zwei Buben und vier Mädchen sind, so wenig verstehe ich mich auf den
Rnterschied der Geschlechter. Die arme, arme Person! sie hätte anch was
Besseres tun können als mich heiraten. Ich kenne eine Dame, die keine
Kinder hat und sehr gnt ist, der werde ich ein paar Bälge zuschicken.

Bei Saalfeld bekam ich einen Schuß ins Bein, daß ich einen Satz
in die Höhe machte. Ich machte meinen Rückzug hinkend. Bei Iena focht
ich zu Pferde, und ftellte noch die letzten Truppen aus, aber zuletzt lief
ich mit den andern davon, in guter Gesellschaft mit Fürsten und Prinzen.
Bei Nordhausen focht ich wieder und schlich mich am Lnde durch den Harz,
abgeschnitten von allen, kam aber am Ende zu den übrigen Davonlaufen-
den. Das waren Greuel! Tausendmal lieber sterben als dies wieder
erleben. Aber, aber, unsere Generale und Gouverneure. Das wird wunder-
bare Zeilen in der Geschichte geben! Die hochgerühmte, prenßische Armee,
ungeübt und eingebürgert durch langen Frieden! Wenn man ein krie-
gerischer Staat sein will, so muß man auch Krieg führen. Der Krieg
ist eine Knnst, und jede Knnst muß geübt werden. Mein schönes Etablisse-
ment in Schlesien ist vernichtet. Ich war auf dem Wege, ein wohlhabender
Mann zu werden, nun ein Bettler. Der Nnterschied ist nicht groß, wenn
man diese Spanne mit der Ewigkeit zusammenhält, und der letzte ist nur
allein der echte Standpunkt. Herr Leutnant, ziehn Sie's Schwänzchen

ein. Iawohl, haben wir als flüchtige Hunde den Schwanz ein-

gezogen, aber wir wollen auch wieder die Zähne weisen. Immer und
 
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