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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0200

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nicht laut werden lassen, die Faust
im Sack machen? „Es geschieht
einem ja keine Beleidigung." Iust
das bestreite ich, daß einem keine
Beleidigung durch schlechte Musik
geschehe. Gewiß, ein indolentes,
unmusikalisches Publikum kann
durch keinerlei Musik beleidigt wer-
den; und das Kunststück, stumm und
still zwei Stunden lang manierlich
dazusitzen und über sich ergehen zu
lassen, einerlei was, ist für solch ein
Publikuür nicht schwer. Aber neh-
men Sie ein echt musikalisches und
eins von Temperament, eins, das
mit seiner Seele auf jeden einzelnen
Satz antwortet: sitzt das so diszipli-
uiert da? kann es so diszipliniert
still sitzenbleiben? einerlei, was auf
dem Podium geschieht? Nein, es
kann gar nicht anders, als bei
einem entzückenden und entzückend
vorgetragenen Kanstwerk sich zu ent-,
zücken, also zu jubeln, und von
einem üblen Takt oder falschen Ton
wie gestochen auszujucken, und zwar
in dem nämlichen Augenblick, wann's
sticht, mitten im Stück.

Rnd nun will ich bekennen,
warum ich in keine öffentlichen
Konzerte gehe:

Lrstens, weil man mir willkür-
liche Programme aufstellt, die ich
in Bausch und Bogen annehmen
müßte, wenn ich nicht dem ganzen
Konzert sernbliebe. Man geht solg-
lich entweder von der Voraussetzung
aus, man dürfe einem Publikum
jedes beliebige Musikstück vorsühren,
es schlucke alles, oder von der Vor-
aussetzung, die Konzertgeber seien
in musikalischen Dingen über uns so
hoch erhaben wie der Lehrer über
dem Schüler. Beide Voraussetzun-
gen empsinde ich sür mein Teil als
unzutresfend. Mein Wunsch und
mein Trotz verlangt, daß man über
Konzertprogramme sich erst miteinan-
der verständige. Da das in öfsent-
lichen Konzerten nicht angeht, so ver-
zichte ich lieber.

Zweitens, weil ich nicht, ohne
aufzusallen, mich retten, das heißt
den Saal verlassen kann, ehe eine
solche Nummer kommt, die anzu-
hören für mich eine Seelenqual be-
deuten würde, um nachher zu einer
andern Nummer wieder einzutreten,
— nötigenfalls zwei- und dreimal
während eines Konzertes hinaus
und wieder herein. Ich könnte also
öjfentliche Konzerte nur ambulauäo
genießen.

Drittens, weil man mir das
Nachleben, das ein herrliches Mei-
sterwerk in meinem Herzen verur-
sacht, durch unmittelbar nachfolgende
Werke verdirbt.

Viertens, weil ich bei einer mir
verächtlichen Komposition meine Ver-
achtung nicht durch Störung kund-
tun und bei einer niederträchtigen
nicht aufspringen und dem Dirigen-
ten das Pult umstürzen darf.

Fünftens, weil ich, durch tausend-
malige Erfahrung belehrt, voraus
weiß, daß, wenn ein ganz elendes
Machwerk verübt wird, zum Bei-
spiel ein impotentes, von allen
Musen versluchtes Salonadagioge-
winsel, der Unrat unfehlbar, ohne
Erbarmen mit mir, stürmisch cka
eai)o verlangen wird.

And diese Vergewaltigung ver-
treibt mich vollends. Ich kann mich,
möglicherweise, darein schicken, um
dreier erfreulicher Konzertnummern
willen sechs abscheuliche mit in Kauf
zu nehmen; aber das abscheulichste
unter den abscheulichen, nachdem es
Gott sei Dank endlich überstanden
ist, nochmals von vorne bis hinten
zu erdulden — nein.

Darum also gehe ich niemals in
ein Konzert. Karl Spitteler

Ein neues Werk über BeeL-
hoven*

in neues Werk über Beethoven
ist jetzt, da schon eine statt-
liche Anzahl vorliegt, ein Wagnis.

* W. A. Thomas-San-Galli, „Lud-

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