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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
DOI Artikel:
Malzan, E.: "Familientragödien"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0255

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schaftlichen Kleinbetrieb wird die Familie nicht wieder zur Alleinherr-
schaft kommen. Denn wahrscheinlich gehört in der Landwirtschaft die
Zukunft einer kombinierten Wirtschaftsform, die im Sinne der Oppen--
heimerschen Siedlungsgenossenschaft die Vorzüge des Klein-- nnd Groß--
betriebes in sich vereinigt, die alle Arbeitenden auf eigener Scholle an--
sässig macht und sie doch für die Marktwirtschaft als Mitglieder eines
genossenschaftlichen Großbetriebes zusammenfaßt. Nur in beschränktem
Umfange könnte da wieder die Familie in herkömmlicher Weise ihre volle
Wirksamkeit entfalten, indem Frauen und Kinder sich in ausgiebiger
Weise wirtschaftlich in Haus und Hos nützlich machen. Sie würde aber
dann ihrem inneren Wesen nach eine Veränderung erfahren, schon, weil
die Frau Gelegenheit erhielte, innerhalb der Genossenschast als Gleich--
berechtigte neben dem Mann zu wirken.

Soweit die Veränderungen, die die moderne Technik im Wirtschafts--
und Verkehrsleben hervorgerufen hat, für die Dauer sind, werden sich die
Beziehungen zwischen Mann und Weib ihnen anpassen müssen; denn die
Aufgaben, die der Lhe und Familie bisher zugewiesen waren, sind wich--
tiger als Lhe und Familie selbst. Soweit sie also durch diese sozialen
Gebilde nicht mehr erfüllt werden können, müssen andere gesellschaftliche
Kräfte sie ablösen. Die Familie hatte bisher den Hauptteil nicht nur der
Aufzucht, sondern auch der Erziehung des Volksnachwuchses zu leisten.
Die Schule ersüllte sür die Lrziehung nur eine Nebenaufgabe, indem sie
sich vorwiegend daraus beschränkte, die intellektuellen Fähigkeiten der
Iugend für das spätere Erwerbsleben zu stärken und zu schärfen. Die
Erziehung durch die Familie ist nun sicher von geringerer Bedeutung als
die eigentliche Aufzucht des Nachwuchses. Das geht schon daraus her-
vor, daß unter den Personen, die im öffentlichen Leben eine große Rolle
gespielt haben, zu allen Zeiten aufsallend viele waren, die wenig oder gar
keine Familienerziehung genossen hatten, und aussallend wenige, denen
als Söhnen oder Töchtern wohlhabender und langlebiger Eltern ein Äber--
maß daran zuteil wurde. And gerade unter modernen Verhältnissen
erweist sich, leider Gottes, der srühe Tod der Eltern oft als ein Glück
für Kinder, die lebenstüchtig sind, denn er nötigt sie um so eher,
sich an die den meisten Eltern fremde, neue soziale Umwelt zu gewöhnen,
in der sie ihr Fortkommen finden müssen. Im Kampse ums Dasein
kommt es in erster Linie aus ererbte, erst in zweiter Linie auf angelernte
Eigenschasten an und unter diesen spielen die durch das Familienleben
vermittelten die bescheidenste Rolle. Nichts aber kann an einem Kinde
das wieder gutmachen, was vor seiner Geburt versäumt worden ist, um
ihm das größtmögliche Glück im Leben zu gewährleisten. Verlangt man
nun von den Eltern, daß sie das berücksichtigen, so muß zunächst die
Gesellschast ihr persönliches Leben unter Bedingungen stellen, unter denen
es sich körperlich und seelisch günstig zu entwickeln vermag. Also wird
die Erhaltung der modernen Familie vielleicht zu teuer erkaust, wenn sie
sich nur unter Ausopferung des persönlichen Glückes des Mannes oder
der Frau ermöglichen läßt. Weder die erste Auszucht noch die Erziehung
der Iugend darf die Lebensverhältnisse der Eltern verschlechtern. Alles
was sich dadurch für die ersten Kinder gewinnen ließe, würde an später
geborenen Geschwistern doppelt eingebüßt werden. Man hat es ja beim
modernen Proletariat vor Augen, wie die Kinder aussehn, deren Eltern
unter schlechten sozialen Verhältnissen leben.
 
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