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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 4 (2. Novemberheft 1913)
DOI Artikel:
Schmidt, Leopold: Das Totenfest in der Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0338

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ständliche deutsche Bibelworte ersetzt und, indem es statt mit dem RsCuism
ostsrnLm mit „Selig sind, die da Leid tragen" beginnt, zugleich unseren mehr
subjektiven Lmpsindungen Ausdruck verleiht — und das weniger öekannte
Requiem von Verdi, dessen eigentümliche Schönheit noch immer nicht
genug gewürdigt wird. Verdi, der sonst alle menschlichen Leidenschaften
bis in ihre Tiesen mit seinen Tönen, oft allzu grell, durchleuchtet, er-
scheint uns in diesem Werke weltabgewandt, mit den Problemen kirchlicher
Anschauungsweise und mittelalterlicher Mönchspoesie beschästigt. Der
uns gewöhnt hatte, in ihm nur den beherzt zugreisenden Bühnenpraktiker
zu sehen, vertauschte die breiten Linien der Homophonie mit dem seinen
Gewebe kontrapunktischer Formen, nicht ohne auch hierin eine Meister-
schast zu zeigen, die ihm die Mitwelt nicht zugetraut hatte. So steht
dies Requiem, ungesähr aus der Zeit der „Aida" stammend (an die
manche Züge erinnern) als ein Vermittler und stilistischer Vorläuser der
Verdischen Spätwerke und doch wieder in völliger Sonderstellung da.
Mit älterer italienischer Kirchenmusik teilt es die Klangsreudigkeit und,
allerdings nur am Ansang und Ende, einen gewissen Zusammenhang
mit der Liturgie und ihren musikalischen Formeln; den Werken der Mo-
dernen steht es durch die Lebendigkeit der Textaussassung und die unbe-
denkliche Verwendung der instrumentalen Mittel nahe. Ganz eigentüm-
lich aber ist ihm die Freiheit des Ausdrucks und eine mitunter ans
Dramatische streisende Veranschaulichung der Vorgänge des Iüngsten Ge-
richts. Darin wie in der außerordentlichen Klangschönheit ist das Manzoni-
Requiem (Verdi schrieb es aus den Tod des ihm besreundeten Dichters
Von „Oli 8po8i") mit keinem andern Kirchenstücke zu vergleichen. Sätze
wie das wundersame Lacrymosa oder das schlichte, zweistimmige Recordare
wirken in ihrer Weichheit unendlich mild und versöhnend. Und da nicht
weniger als das Gemütvolle das Mystisch-Religiöse zur Geltung kommt,
da das alles den Stempel einer starken Persönlichkeit trägt und vom
ersten bis zum letzten Takt von musikalischer Ursprünglichkeit der Er-
findung ist, so müssen wir wohl das Verdische Requiem zu den großen
künstlerischen Ossenbarungen von bleibendem Wert rechnen. Linst glaubte
man darüber, wie über so manches von Verdi, geringschätzig urteilen
zu dürsen; heut beugen wir uns ihm in Lhrsurcht.

Daß die Empsindungswelt des Totenfestes auch die nichtkirchliche Ton-
kunst in ihren Bann zu ziehen vermag, dasür bieten Oratorium, Drama
und geistliche Lyrik Beispiele genug. Von neueren Meistern ist es Io-
hannes Brahms, der ihr den stärksten Ausdruck, die überzeugendsten Laute
gegeben hat. Vom Begräbnisgesang (oq. (3) über das deutsche Requiem,
dem Schicksalslied und dem Gesang der Parzen bis zur Nänie und
den vier Lrnsten Gesängen klingt bei ihm eine Lebensausfassung, ein
Temperament, wenn man so sagen darf, an, die mehr als anderes seine
Wahlverwandtschast mit Bach begründen. Auch Brahms versenkt sich gern
in die Gedanken an Tod und Verklärung und ringt mit ihnen. So
gipselt das Requiem in den Worten „Tod, wo ist dein Stachel?« und
in dem Bekenntnis: „Selig sind die Toten." So tritt uns in seinen
Chorkantaten (die Rhapsodie op. 53 miteingeschlossen) immer wieder die
Gegenüberstellung vom Leid des Lebens und der Freude, die niemand
mehr rauben kann, entgegen. So singen uns auch die Ernsten Gesänge,
das Schwanenlied des Meisters, von der Vergänglichkeit alles Irdischen
und der Wohltat des Todes. „Schnadahüpsl sür Gesunde" uannte sie

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