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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1913)
DOI Artikel:
Servaes, Franz: Wiener Kunst: ein Brief an den Herausgeber
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0342

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noch dazu, und ihr stehen die mächtigen anderen Parteien gegenüber, die
sich vorwiegend aus der eingangs charakterisierten Unterschicht ernähren,
und die, um der edlen Gerechtigkeit willen, für sich die gleiche Berücksich-
tigung heischen wie für diejenigen, die etwas können und mehr der
Kunft als sich selber dienen. Die arme Regierung ist da in einer üblen
Lage. Sie hat wirklich keinen schlechten Willen, und wenn sie auch natür-
lich nicht das höchste künstlerische Verständnis hat, so doch immerhin ein
gewisses künstlerisches Schamgefühl und den schönen Lhrgeiz, sich nicht
zu blamieren. Also eine sehr sympathische Regierung, die, wenn man sie
nicht in törichter Weise ärgert und herausfordert, gern bereit ist, sich
belehren zu lassen und das Gute vor dem Schlechten zu bevorzugen.
Aber erstens darf's nicht viel kosten (das ist längst selbstverständlich), und
zweitens darf's nicht extrem sein; muß sich also auf einer gewissen mitt-
leren künstlerischen Wohlanständigkeit und Eigenart halten und darf weder
die im Staate österreich approbierten Religionen noch den feudalen oder
bürgerlichen Geschmack der Wohlgesinnten verletzen. Kann man von einer
Regierung mehr verlangen? Sie muß mancherlei Püffe und Stöße aus-
halten, weil sie auch nur so zu sein wagt. Sie wäre vielleicht geradezu
vortrefflich zu nennen, wenn sie einen ordentlichen Rückhalt beim Heere
der sogenannten Gebildeten hätte. Aber diese sind in Osterreich merk-
würdigerweise in Kunstdingen reaktionärer als die Regierung. Sie möchten
am liebsten alles Neue tottreten oder für verrückt erklären. Bloß, wenn
es ihnen durch die Mode aufgedrängt wird (wie etwa die bunten Blusen-
und Bänderstoffe der Wiener Werkstätten), findet es Gnade vor ihren
Augen. Für die Kunst bedeutet zwar das Modischwerden ein Herabsinken;
aber in den Augen gewisser Kreise kann sie doch einzig durch die Mode
emporsteigen, kann durch sie desinfiziert und schließlich sogar heiligge-
sprochen werden.

Darum ist die österreichische Kunst genötigt, zwischen zwei entgegen-
gesetzten Extremen höflich und zierlich die Balance zu halten: zwischen
einer bereits nach Iahrhunderten zählenden stolz abweisenden Tradition
und einer nur vom flüchtigen Heute regierten, allem Exzentrischen aus-
gesetzten Mode. Wer weder nach der einen noch nach der anderen Seite
hin bewußte und wohlberechnete Verpflichtungen eingeht, steht bald ohne
Stütze da und sieht von beiden Seiten die Pfeile auf sich niederregnen.
Allenfalls bildet sich um solche Einsame eine kleine fanatisierte Anhänger-
schaft, die sich wie die Leibtrabantenschar eines Geächteten gebärdet und
durch blindwütige Exklusivität den vorhandenen Riß geflissentlich noch
vergrößert. So haben sich erst um Klimt, dann um Kokoschka (wie auf
anderen Gebieten um Peter Altenberg und Arnold Schönberg) verschwörer-
haft organisierte Gemeinden gebildet, die niemandem gefährlicher sind,
als demjenigen, dem sie dienen wollen. Freilich ist Klimt ein zu ver-
nünftiger Mann und allem billigen Geckentum viel zu sehr abhold, als
daß er sich dazu hergeben möchte, den orakelnden Hohenpriester einer
größenwahnsinnig-verwilderten Korybantenschar zu spielen. Dafür hat sich
an Kokoschka um so mehr eine Gruppe Allerjüngster gehängt, die ihn
in seinen Anmanieren zu bestärken und womöglich noch zu überbieten
sucht. Man spricht sogar davon, daß er, der noch nicht Dreißigjährige,
in allernächster Zeit selber „überwunden" werden und sein Zepter an einen
noch Radikaleren, der bloß noch die Kunst der Fidschi-Insulaner als Vor-
bild gelten läßt, abtreten solle.

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