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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1913)
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Ulbricht, W.: Mutterschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0351

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Frau als Glied des Volkes den höchsten Wert gibt: die Lrziehung zur
Mutterschast. Ilnd so glaube ich: es ist Zeit, auf diesen Punkt zu achten.

Ieder weiß, daß die Geburtenzahl im Deutschen Reiche stetig und gar
nicht etwa langsam fällt. Während im Iahrfünft s886—90 im Mittel
27,9 Geburten auf sOOO Linwohner kamen, waren's im Durchschnitt der
Iahre s906—sO nur 32,6 — also ein Sinken der Geburtenziffer um
fast vom Hundert in etwa 20Iahren! s876 betrug die Geburtenzahl noch
^2,6, für WO verzeichnet die Statistik für das Deutsche Reich nur 30,7,
sür Sachsen 28,2! Die Rrsachen! Es sind ihrer viele. Die bedenklichste
aber finde ich darin, daß viele unsrer Frauen mutterschaftsmüde, mutter-
schaftsunwillig, mutterschaftsunfähig sind. Und zwar nicht nur die Frauen
der „höheren" Kreise, sondern auch die des gebildeten Mittelstandes bis
weit hinein in die Kreise der untern Beamten und der besser entlohnten
Rrbeiterschaft,- auch nicht nur die Mütter der Stadtbevölkerung, sondern
auch unsre Frauen vom Lande. Die Frauen von Geistlichen und Lehrern,
denen unser Volk so manchen Großen verdankt, gehen oft mit schlimmem
Beispiele voran. Sie werden manchmal ungern zum ersten Male, meist
ungern zum zweiten Male Mutter, mit ganz wenig Ausnahmen aber
widerwillig und oft fast „verzweifelnd" zum dritten Male.

Zugegeben: es gibt auch sogenannte Männer, die da glauben, nicht
mehr als ein oder höchstens zwei Kinder ernähren und „erziehen" zu können
<wie die „Erziehung" von Linzelkindern meist ausfällt, ist bekannt), aber
diese Tatsache ist aus verschiedenen Gründen weit weniger bedenklich als
eben jene, daß sehr viele deutsche Frauen mit allen Mitteln zu verhindern
suchen, mehr als „schlimmsten" Falles zwei Kindern das Leben zu schenken.
Ls treten Tausende von Mädchen in die Lhe, die von den Pflichten, die
sie damit ihrem Volke gegenüber übernehmen, keine Ahnung haben. Andere
Tausende kennen diese Pflichten, geben sich aber am Hochzeitstage das
Wort daraus, nicht so dumm zu sein wie ihre Mütter und Großmütter.
Noch andere sind voll guten Willens, aber die Sorgen und Beschwerden
der ersten Schwangerschaft, die Schmerzen des Gebärens, die Unbequem-
lichkeiten und Mühen der Kleinkindererziehung sind stärker als die Mutter-
freuden: ihr guter Wille wird schwach, auch sie wollen nicht mehr „die
Dummen" sein. Der größte Teil der übrigen aber trägt resigniert als
Fluch von Eva her das, was ihr höchstes Glück sein sollte. Wieder in
jenen „Umständen« zu sein, die unseren Vorsahren als „gesegnete" galten,
dessen Ausbleiben jüdische Mütter als größte Schmach, als Strase Gottes
ansahen — das ist vielen deutschen Frauen heute der schrecklichste der
Schrecken.

And die Ursachen hiervon? In einzelnen Fällen ist's Nnfähig-
keit — physische oder psychische Minderwertigkeit. Tatsächlich sind nicht
wenige unsrer Frauen nach einer oder zwei Geburten erschöpft. Hier
erwachsen dem Mädchenspiele, dem Turnen in der Schule und im Verein,
dem Sport mit der Körperstärkung sehr ernste Aufgaben. Planmäßige
Körperkultur im tzinblick auf den höchsten Beruf des Weibes tut unserm
lese-, lern- und stickwütigen Mädchengeschlecht mehr not, als die in „bessern"
Kreisen immer noch so beliebte Pensionatserziehung mit dem Naschen aus
allen Töpfen. Nnd wichtiger als die Belehrung in Staatsbürger-
kunde, nötiger als alles Wissen über die Gesetze volkswirtschaftlichen
Geschehens ist's, daß unsre Mädchen vor allem körperlich so ausgebildet
werden, daß sie ihre vornehmste Pflicht als Staatsbürgerin gut er-

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