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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1913)
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Ulbricht, W.: Mutterschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0352

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füllen können und dadurch an ihrem Teile den Fortschritt unsers Volkes
auf wirtschaftlichem Gebiete verbürgen. Denn darüber wollen wir uns
klar sein: die wirtschaftliche und damit die kulturelle Bedeutung unsers
Volks steigt und fällt mit dem Zuwachs, den es aus unseren physisch
und damit fast immer auch psychisch gesunden Volksschichten erhält.

Allein die Fälle, wo körperliche Minderwertigkeit zur Beschränkung
der Kinderzahl zwingt, sind selten, jedenfalls — soll ich sagen „gottlob" oder
„leider"? — weit seltener als jene, wo trotz körperlicher und geistiger Voll-
kraft an eine neue Mutterschast mit Entsetzen gedacht wird, wo der Wille
zur Fruchtbarkeit fehlt oder gar der Erfüllung der höchsten Aufgabr
desWeibes entgegenwirkt. Ich wenigstens habe aus meinen Beobach--
tungen das sichere Gefühl — statistisch beweisen wird sich ja derlei niemals
lassen, daß unter den Männern gar mancher gerne eine größere Kinder-
schar ernähren und heranziehen und mit Freuden seinen Teil der „Last^
übernehmen würde, trotz der schwierigen wirtschastlichen und sozialen, der
vielfach hemmenden Wohnungs- und städtischen Zustände überhaupt — wenn
nicht die Frau vor ihrem Anteil zurückschreckte.

Welche Folgen diese Zustände für unfer Familien-- und Volksleben haben
müssen, ist leicht zu erkennen. Zunächst dürfte wohl kaum beftritten werden,
daß jede Frau, die von der zuletzt gekennzeichneten Art ist und ihren
Mann zur Abstinenz oder zu Schlimmerem veranlaßt, für sexuelle Ver--
irrungen des Mannes mit verantwortlich gemacht werden muß. Ebenso
zweifellos ist — und jeder Frauenarzt wird es bestätigen —, daß das
Anwachsen der Frauenleiden und als weitere Folge davon oft wirkliche
Anfruchtbarkeit zum großen Teile letzten Endes zurückzuführen ist auf die
Abneigung gegen eine neue Schwangerschaft. Ein Teil der Mittel zur
Verhütung der Konzeption, noch mehr jene, die nach eingetretener Be--
fruchtung angewandt werden — welche Anmengen von kranken Frauen
mögen sie uns bringen!

And welch quälender Gegensatz ist das: auf der einen Seite die Miuder--
wertigen an Körper, Geist und Willen, die zur Ehe Anwürdigen, die
vor einer der höchsten Aufgaben ihres Lebens fliehen, auf der andern
Seite: Tausende von gesunden, nach Lhe- und Mutterglück sich sehnen-
den, sich verzehrenden Mädchen, die im Wettkampf um einen Lebensge-
fährten unterlagen! Welch schwerer doppelter Verlust für unfer Volk in
materieller und ideeller Hinsicht!

Noch einen Blick vorwärts! Was dürfen wir von den unferm Volke
so zahlreich erwachsenden Einzelkindern erwarten? Von jenen Knaben
und Mädchen, die zumeist vor jedem Lufthauch behütet werden, denen
jede Anstrengung, jeder Kampf erspart, alle Lntbehrung ferngehalten wird?
Welche Aussichten eröffnen sich für unser Volk, wenn wir weiter bedenken,
daß es zumeift die kräftigst genährten, die gesündesten und dann wieder
die intelligentesten Kreise sind, die. sich vor größerer Kinderzahl fürchten,
jene Kreise, die bestimmt wären, ihre Ligenschaften auf eine möglichst
große Zahl von Kindern zu vererben!

And wieder welch erschreckender Gegensatz: wenn in den „höheren",
in den „bessern" Familien gesündigt wird aus selbstsüchtiger, doch falscher
Berechnung, so finden wir oft in den „niedersten" Kreisen im entgegen-
gesetzten, ebenso ungesunden Lxtrem: eine Kindererzeugung ohne Maß
und Verstand aus ungebändigtem Triebleben, eine Fruchtbarkeit aus
mangelnder Selbstzucht. Die von unten hervorquellende Masse kann von

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