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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1913)
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Ulbricht, W.: Mutterschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0353

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einem gesunden Volke nicht nur ertragen werden, sie kann sein großer
Segen sein. In demselben Maß aber, wie der Volkszuwachs mehr und
mehr aus leider Gottes physisch minderwertigen Schichten quillt, in dem-
selben Maße kommt unsre Volksgesundheit, unsre Volksbildung, unsre
gesamte Kultur in Gefahr. Männer und Frauen aus dem Bürgertum
und der Aristokratie mögen sich noch so laut als wahre Patrioten rühmen:
wenn sie dem Vaterlande nicht auch tapsere Knaben und tüchtige Mädchen
schenken, so ist all ihr Patriotismus Phrase.

Was soll geschehen?

Lins wurde schon gestreift: unbedingte Voraussetzung sür jegliche Resorm
ist eine sehr viel kräftigere Körperpflege unsrer Mädchen.
Ls sollte kein Mädchen, keine Iungfrau geben, die nicht einem Turn-
vereine und einem Wandervereine angehörte, keine, die nicht schwimmen
kann. Und viel besser für Familie und Volk wär's, wenn anftatt des
Klavierspielens, Malens und Singens Rudern, Rodeln und Eislauf noch
mehr als bisher gepflegt würden. Es liegt im dringenden Interefse der
Allgemeinheit, auch den „niederen" Ständen derlei zu ermögllchen; die
Fabrikarbeiterinnen zum Beifpiel brauchen wahrhaftig ihre Körperpflege
auch und brauchen sie auch um der Gesamtheit willen. Ich bin kein
Rückschrittler, wenn ich mit solchen Gedanken die Beftrebungen, nnsre
Mädchen noch tiefer in den Intellektualismus und ins Berechtigungswesen
hineinzuführen, nicht mit ungemischter Freude begrüßen kann. Unter
allen Umständen sollten die Mädchen, wo irgend möglich, Berufen mit
kräftiger körperlicher Betätigung zugeführt werden. Nur so erhalten wir
Frauen, die zur Mutterschaft fähig sind.

Weiter braucht unfre Mädchenerziehung eine entfchiedene Wil-
lenspflege, eine Abung im Ertragen von Schmerzen, Unbequem-
lichkeiten und Beschwerden. Keine Mutter und kein Vater sollte die
kleine Suse bedauern, wenn einmal ein Tropfen Blut fließt, sondern
Standhastigkeit, Tapferkeit suggerieren und mit Lob und Bewunderung
nicht kargen, wenn die Kleine Mut zeigte und den Schmerz unterdrückte.
Wenn hierzu noch Kräftigung des Pflichtgefühls und Unterdrückung der
Genußfucht kommt, ist viel für unser Ziel erreicht. So erzögen wir Frauen,
die zur Mutterschaft willig find.

Vor allem aber wird es nötig sein, daß die Mütter das beste Mittel
aller Erziehung anwenden: das eigene Beispiel. Ltwas, fo ziemlich das
einzige, was ich an meiner Mutter nicht verstand, war, daß sie fich einer
bevorftehenden neuen Mutterschaft vor ihrem erwachsenen Iungen schämte.
Stolz sollten unsre Mütter fein; erhobenen Hauptes sollten sie zeigen,
wie sie ihrer Familie, ihrem Volke dienen! Und jeder von uns sollte zur
Verherrlichung der Mutterschaft beitragen, sollte über den Heldentaten
der Männer die 'der Mütter nicht vergefsen. Wenn Haus und Schule
— auch die Schule kann mit dem nötigen Takt und mit sittlichem Ernst
viel tun — wahre Liebe zum Volk und das Bewußtsein der Verpflich-
tung diesem gegenüber, lebendiges soziales Gefühl in unsern
Mädchen zu wecken und zu pflegen suchten, so müßte wohl bald Erfolg
zu spüren sein.

Aber die wirtschaftliche Lntwicklung? Die beständig wachfenden
Schwierigkeiten, Kinder in gesunder, naturgemäßer Umgebung großzu-
ziehen? Ich übersehe diese Fragen, die ja gleich, als ich mit meinen
Anklagen 'begann, sich herandrängten, keineswegs. Sie sind ernst und

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