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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 4 (2. Novemberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0404

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bewußt in den Dienst pädagogischer
Probleme zu stellen, und der Bund
für Schulreform hat es sich aus-
drücklich zur Aufgabe gesetzt, diese
neue Hilfsdisziplin der Pädagogik zu
verwerten und zu stützen. Die dies--
jährige Tagung war noch mehr als
die vorangegangenen ein wirklicher
Kongreß für Iugendbildung und
Iugendkunde. <Ls ist innerhalb
des Bundes eine eigene „Sektion
für Iugendkunde" gegründet wor-
den, welche alle diejenigen Psycho-
logen und Pädagogen vereinigt, die
das wissenschaftliche Studium der
Kindesseele pflegen; die Sektion ist
am Werke, eine Arbeitsgemeinschaft
für das schwierige Problem der kind-
lichen Intelligenzprüfung zu schaffen.
Die mit dem Kongreß verbundene
Ausstellung war ebenfalls „jugend-
kundlicher" Natur; das heißt sie sollte
nicht, wie sonst pädagogische Ausstel-
lungen, wohlzurechtgemachte Unter-
richtsleistungen zeigen, sondern Ein-
blicke in die seelische Beschaffenheit
des Kindes, in seine Anlagen und
Interessen, in die typischen Ilnter-
schiede der Altersstufen und Ge-
schlechter gewähren. Endlich hat der
Kongreß selbst sein Hauptthema am
erstenVerhandlungstage unter Psycho-
logischem Gesichtspunkt behandelt, um
erst am zweiten zur eigentlich päd-
agogischen Lrörterung überzugehen.

Dies Thema lautete: Der Nn-
terschied der Geschlechter
und seine Bedeutung für die
öffentliche Iugenderziehung.
Es liegt schon im Wesen dieses
Problems, daß hierbei der Psycho-
logie und Pädagogik des weib-
lichen Geschlechts das Hauptinter-
esse zufallen mußte; die Berück-
sichtigung der Knabenerziehung
wurde dann leider noch durch das
Ausbleiben des hierfür löestimmten
Referenten weiter gekürzt.

Bezüglich des ösfentlichen Mäd-
chenschulwesens zerfällt das Thema in
zwei Anterfragen: Inwieweit muß

der Mädchenschullehrplan durch die
besondere Eigenart des weiblichen
Geschlechts bestimmt werden? und:
Inwieweit ist eine gemeinschaftliche
Erziehung beider Geschlechter mög-
lich? Ist sie notwendig oder wün-
schenswert? Vorher aber mußte die
psychologische Frage aufgeworfen
werden: Worin bestehen die Nnter-
schiede der Geschlechter im Iugend-
alter, wie sind sie nach Grad und
Art beschaffen?

Äber diese Vorfrage sprachen drei
Psychologen (an Stelle des erkrank-
ten Professors Meumann der Refe-
rent, ferner Professor Lohn-Frei-
burg und vr. Lipmann-Kleinglie-
nicke).

Eine einwandfreie Vergleichung
der seelischen Funktionen und Lei-
stungen von Knaben und Mädchen
erfordert ein umfassendes Material,
welches an Kindern aller Altersstufen
und Schichten gewonnen werden
muß; daß wir bei der Iugend unsrer
Wissenschaft mit diesem Studium
noch am Anfang stehen, ist selbst-
verständlich. Dennoch erwies sich die
Skepsis mancher Nur-Praktiker, daß
aus diesen psychologischen Befunden
nichts Pädagogisches geschlossen wer-
den könne, als unberechtigt. Ein
lehrreiches Symptom hierfür: Noch
vor wenigen Iahren haben die füh-
renden Vertreterinnen der Frauen-
bewegung die Wesensgleichheit bei-
der Geschlechter ausgesprochener-
maßen oder doch stillschweigend zur
Richtschnur ihrer pädagogischen Re-
formbestrebungen gemacht. Der preu-
ßische Mädchenschullehrplan, in wel-
chem viel zu unmittelbar Pensen und
Forderungen der Mädchenschule
denen der Knabenschule angeähnelt
wurden, ist ein Ergebnis dieser Ten-
denz; ebenso ging die Agitation für
das Ideal der gemeinschaftlichen Er-
ziehung mit einer gewissen Gering-
schätzung an den Schwierigkeiten der
etwaigen psychischen Differenzierung
vorbei. Der Kongreß zeigte ein

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