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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1913)
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Schmidt, Leopold: Meyerbeeriana
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0430

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eines Künstlers sehen und ihn bezichtigen, daß er sein Können bewußt miß-
braucht hat? Was wissen wir davon, woran Meyerbeer geglaubt hat, urrd
ob er anders konnte als er wollte? Der Begrifs der künstlerischen Unehrlich-
keit ist unter Umständen faßbar, wie z. L. bei der geschäftsmäßigen Operetten-
produktion, aber auch da nur mit äußerster Vorsicht anzuwenden. Wie
dürsten wir mit ihm einem ernsthaften Meister gegenüber operieren! Lin
anderer Komponist, Friedrich Kiel, pflegte zu sagen: In der Musik könne
niemand lügen, da enthülle jeder auch wider Willen sein eigenstes Wesen.
Ist dem so — und die Erfahrung bestätigt den Grundsatz oft genug im
Leben —, dann ist Meyerbeer schweres Unrecht geschehn. Dann dürfen wir
nur mit seiner Künstlerschaft, nicht mit seinem Menschentum rechten. Wie
könnte uns andernfalls auch derselbe Mann mit seinen Tönen so häufig
rühren und aufs heftigste erregen! Beides gaben sogar die Gegner zu.
Aber er ist auf die äußere Wirkung aus, auf den Effekt, und das macht
ihn verdächtig. Man kennt die Wagnersche Definition: „Effekt ist Wirkung
ohne Ursache!" Ein blendender Satz. Aber sehen wir mal von seiner philo-
sophischen Unhaltbarkeit ab: wie schwer ist es wieder, diese Definition an
konkreten Beispielen zu erhärten! Wo fängt die „Ursache" an, und wo hört
sie auf? Ist die Sonne, die über dem Brünnhildenfelsen aufgeht, die Früh-
lingspracht, die in Hundings Hütte bricht, innerlich begründeter als der
Tagesanbruch im Lager vor Münfter? Man nenne den Künstler, vor allem
den Bühnenkünstler, der auf den Effekt verzichtete, der nicht in gewissem
Sinne auch für die äußere Wirkung schriebe! Die wenigen, die es nicht
getan, wurden zu allen Zeiten als für die Bühne unbrauchbar beiseite ge-
schoben. Iedenfalls darf man aus dem berechtigten Wunsch, beständig und
möglichst intensiv Eindruck zu machen, an sich noch keine künstlerische Ge-
sinnungslosigkeit herleiten. Was Meyerbeer träfe, würde dann gar viele
andere, und nicht die Schlechtesten treffen.

Ein zweiter Vorwurf ist der Mangel an „dramatischer Wahrheit", den
man Meyerbeers Werken nachsagt. Die Charaktere seien psychologisch nicht
vertieft, dem äußeren Geschehnis, dem bunten Opernputz sei die Logik der
Handlung geopfert, es fehle an höheren poetischen Gesichtspunkten. Der
musikalische Ausdruck sei oft schablonenhaft, die Musik überhaupt um ihrer
selbst willen da und decke sich nicht mit den Lrfordernissen des Dramas.
Es läßt sich nicht leugnen, daß solche Behauptungen auf manche Opern
wenigstens und Opernteile Meyerbeers bis zu gewissem Grade zutresfen.
Man wird den „Robert" und die „Afrikanerin" trotz der genialen Musik-
stücke, die sie enthalten, desgleichen die „Dinorah", in der bereits die mo-
derne Operette anklingt, nicht ohne weiteres in Schutz nehmen können.
Anders liegt die Sache beim „Propheten" und den „Hugenotten". Hier ist
bei aller Verflachung des historischen Hintergrundes die dramatische Wahr-
heit keineswegs außer acht gelassen, ja im „Propheten" stellt sich näherer
Betrachtung auch der dichterische Gehalt als nicht gering dar. Doch lassen
wir auch hier das einzelne auf sich beruhen, und halten wir uns an die
Frage: Wie ist es im allgemeinen um die dramatische Wahrheit in der Oper
bestellt? Es liegt im Wesen dieser Kunstgattung, daß sie noch weniger als
das gesprochene Drama am wirklichen Leben gemessen werden kann. Die
Musik trägt ihre eigenen Daseinsbedingungen in sie hinein, und daß ihr
die Dichtung oft nur zum Vorwande dient, daran wird aller Ausbau der
Theorie vom musikalischen Drama nichts ändern. Daher müssen wir in der
Oper auch einen besonderen musikalischen Wahrheitsbegriff aufstellen. Gegen

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