Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1913)
DOI Artikel:
Zum Weihnachtsmarkt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0541

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
habenen Welt der Töne durch die
lumpigen vier Klaviere und die ein--
same Geige unseres Mietshauses in
unterernährtem Zustande siechte, denn
nunmehr besucht ja längst der Agent
von Quäkewohl und Komp., gestützt
auf prima Referenzen, die Mansar--
den unserer Umgebung, und er hat
das Proletariat für Musikpflege ge-
wonnen. Seitdem ergießen sich drei
Gegenströme von Tönen, teils zu-
gleich, teils abwechselnd, durch unsere
Straße. Aber immerhin: noch drei
Stunden täglich bin ich musikalisch
verlassen — möge die nächste Ge-
schäftstournä mich ganz versorgen.
Kauft immer noch mehr Grammo-
phone, kauft!

Wie volkserzieherisch wirkt doch die
automatische Blechtute! Sie entzün-
det wieder „die heilige Flamme der
Vaterlandsliebe" in der erloschenen
Asche der gesinnungstüchtigsten Mar-
xisten. Hört, was der sozialdemokra-
tische Schuhmacher drüben sich und
uns, sehr durch die Nase allerdings,
schenken läßt: „Die Wacht am Rhein.
Gespielt von der Kapelle des ixten
Ulanenregiments. Orrriginäälauf-
nahme ü!" — so verkündet der Appa-
rat. Als Intermezzo ein „Xylophon-
stück, gespielt von dem Virtuosen
Klöpperlich mit Orchesterbegleitung.
Orrriginäälaufnahme!!!" Dann geht's
patriotisch weiter: „Freiheit, die ich
meine. Gesungen von Fräulein Mi-
mikry, Soubrette des Ixer Thalia-
theaters. Orrriginäälaufnahme!!!"

Aber nicht nur unter der Devise
„Der Patriotismus dem Volke!",
sondern auch unter der andern: „Die
Kunst dem Volke!" muß man den
Einzug des Grammophons in die
Mansarden willkommen heißen. Ietzt
braucht der Arbeiter sich nicht mehr
in Volkskonzerte zu bemühen, er
kann am Familientisch bei einer
häuslichen Pulle Bier Göttliches ge-
nießen. Ich zähle das weitere Pro-
gramm unserer heutigen Tafelmusik
von drüben auf: „Wo steht denn das

geschriebänn, du sollst nur eine lie-
bänn." Darauf ein wahrhaft dröh-
nendes Potpourri aus Wagners
Meistersingern. Alsdann: „Auf der
Eisenbahn. Komische Szene." Die
„Szene" beginnt mit dem Fauchen
und Stampfen des Zuges, ftellt eine
Streiterei mit einem Marktweib in
der vierten Klasse dar und schließt
nach den Worten: „Na, fall'n Se
man nich in den Briefkasten" mit dem
großen Chor „Hähähähähäh".Dienen
derartige wahrhast echte „Volks-
stücke" nicht dazu, das „Volk" ästhe-
tisch zu erziehen? Nun kann wieder
eine Arie aus dem Don Iuan ein-
setzen. Den Schluß macht ein mil-
der Ausklang: „Stiehiele Nacht, hei-
lige Nacht." Natürlich alles „Orrri-
ginäälaufnahmen". Nun sage man
mir: war das früher möglich? Ia,
die moderne Technik ist Kultur.

Es ist mir unbegreiflich, daß der
Dürerbund oder die Gesellschaft zur
Verbreitung von Volksbildung sich
noch nicht der Verbreitung vonBlech-
tuten angenommen haben. Ls wäre
auch an der Zeit, daß der Kunstwart
seine billigen Heste „Hausmusik" in
billige Grammophonplatten umwan-
delte. „Das ist Freude, das ist Le-
ben, wenn's aus allen Fenstern
schallt." Ich höre im Geist die Zeit,
da in allen Familien des Erd-
balls ein Grammophon quäkt, und
bedaure, daß ich nicht ein Gott bin,
um oben auf dem Olymp diese
Sphärenharmonie, hergestellt in den
vereinigten Fabriken mechanischer
Musikinstrumente, zu genießen.
Weihnachten steht vor der Türe —
kauft immer noch mehr Grammo-
phone, kauft! Chr. Wienecke

Dürergenoff ens ch ast

und VerLriebstelle deutscher

Qualitätsarbeit

^ie Dürergenossenschaft, zu der sich,
^wie unsre Leser wissen, Dürer-
bund, Deutscher Werkbund und
 
Annotationen