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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0544

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aller Hast zusaininengestellt oder ein-
gekauft wurden, den Geist der Auf-
geregtheit weiter verbreiten. Ist es
nicht schade, wieviel ehrliche Liebe
der NachlLssigkeit oder Nnentschlos--
senheit zum Opfer fällt? Vernünf-
tiges Schenken erhebt nicht nur die
Seele, sondern fördert auch die Ge-
sundheit, wie jeder ruhige Genuß.
Unbedachtes, gehastetes, in letzter
Stunde noch „abgemachtes" Schen-
ken aber verbraucht viel Nervenkraft.
Die Nachtszenen, die sich oft noch am
hereinbrechenden Lhristabend abspie-
len, sind doch im Grunde ein Hohn auf
den eigentlichen Sinn und Wert des
hohen Festes. Ließen sie sich wirklich
nicht durch etwas früheres Äber-
legen und (Lntfcheiden vermeiden?
Hat man doch selbst beim Schenken
den größten Genuß, wenn man die
Handlung gründlich vorbereitet, wir
sollten zur eigenen Bereicherung das
Schenken schon möglichst früh ge-
nießen. Also beginnen wir möglichst
früh mit den Vorbereitungen zum
Fest, denken früh alles durch und
richten Arbeit und Bestellungen so
ein, daß sie etwa eine Woche vor
dem Feste vollendet sind. Diese
Woche, während deren wir uns in
Ruhe davon überzeugen können, daß
nichts übersehen ist, und da und dort
noch verbessern, wird uns vielleicht
noch mehr Freude bescheren durch
das freundliche Wissen um unsre
lieben Geheimnisse als der Abend
selbst, an dem wir sie preisgeben.

Alle Freude ist um so größer, je
mehr Menschen aufrichtig froh find.
Die gehobenste Stimmung kann
durch ein mürrisches Gesicht ver-
dorben werden. Suchen wir möglichst
viele Menschen glücklich zu machen,
indem wir ihnen ehrliche Teilnahme
zuwenden. Dienstboten erfreut man
durch nützliche Sachen, entfernte Be-
kannte durch ein gutes Wort, Bettler
und Arme durch milde Gaben, Fremde
danken schon den offenen, freund-
lichen Blick. Friedrich Müller

Zwei britische Stücke: Gals-
worthys„Kampf"undShaws
„Pygmalion"

Berliner Theater

(HH>ie geschickt unsere angelsächsischen
^-^Vettern den richtigen Zeitpunkt
abgepaßt haben, zwei Stücke ihrer
„gesunden Menschenverstandsdrama-
tik" bei uns einzuschmuggeln! In
dem Augenblick, wo uns eben erst
wieder Gulenberg und Schmidtbonn
bewiesen haben, wie ungern sich
deutsche Begebungen noch immer mit
handgreislichen und volksverständ-
lichen Konflikten der Gegenwart be-
freunden, wie zuwider es ihnen —
trotz mühsamer Gegenanstrengungen
oder betonter Einfachheit — im
Grunde ihres Herzens ist, den bür-
gerlichen Publikumswünschen auch
nur einen Schritt entgegenzukommen,
in diesem Augenblick tragen uns die
klugen Realpolitiker von jenseits des
Kanals auf der flachen Hand zwei
Theaterftücke entgegen, die sich wie
Pflaster und Priesnitzsche Umschläge
auf solche Verstimmungen des lieben
Publikums legen.

Da ist dieser IohnGalsworthy,
ein Fünfzigjähriger, der greift mit
beherzter Hand mitten hinein in die
sozialen Kämpfe unserer Zeit, wie
sie sich vor unser aller Augen ab-
spielen, gibt aber auch nur gerade
so viel davon, wie jeder interessierte
Beobachter mit klaren Augen und
humanen Gefühlen ergreifen kann —
das andere, das sich hinter den greif-
baren Erfcheinungen sehnsuchtsvoll,
erobernd oder wehklagend in eine
andere Welt hinübertasten möchte,
läßt er von vornherein beiseite: mö-
gen sich andere daran die Finger
verbrennen, Romantiker und Ideo-
logen, wie sie in Deutschland da-
heim! So ist sein Streikdrama
„Kampf", das im Deutschen Künst-
lertheater zu Unrecht an Hauptmanns
„Weber" erinnerte, doch nur eben
ein höchst geschicktes und wirkungs-

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