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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0560

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von den uralten Instinkten, die trotz
jener neuen ihr Recht behalten sol-
len* Eine Erziehungsreform, deren
Prinzip lautet: „Allmacht der Schule,
Ohnmacht des Llternhauses" ware die
Proklamierung der Unnatur; das
Internat — auch das vollkommenste

— kann niemals etwas anderes als
ein Surrogat sein.

Wenige Stunden später — in der
öfsentlichen Versammlung des Kon-
gresses über Elternhaus und Schule

— sprach die Mutter. Ls war für
mich und manche andere ein wirk-
liches Erlebnis, für ebenso viele frei-
lich auch ein Gegenstand lebhafter
Opposition. Man mag vielen, viel-
leicht den meisten Linzelheiten des
Vortrages von Frau Schellenberg
(Mannheim) skeptisch oder auch ab-
lehnend gegenüber stehen — was sind
die Linzelheiten gegenüber dem einen
fundamentalen Ereignis: dieMutter,
die bisher schweigend all die Am-
wälzungen der Kultur über sich und
ihre Mütterlichkeit hatte ergehen las-
sen, deren natürlicher Beruf aufge-
hört hatte, eine Selbstverständlichkeit
und in sich ruhende Sicherheit zu sein,
weil alles össentliche Auftreten der
Frauen immer nur dem andern und
neuen, dem Erwerbsberuf, der so-
zialen Hilfsarbeit, der Schule galt —
sie besann sich auf sich selbst und rief,
ein weiblicher Rousseau, ihr „Zurück
zur Natur". Sie pries jene hohe
Aufgabe, Gebärerin, Bewahrerin
und Schützerin der kommenden Ge-
neration zu sein, als eine Mission,
an die keine der von den mo-
dernen Frauen so sehnlich erstrebten
neuen Lebensformen und Rechte auch
nur entfernt heranreiche, ja die durch
das Eintreten für das neue verküm-
mert werde. Sie wies die Äber-
schätzung zurück, mit der von manchen
die Lrziehungsbedeutung der Schule
bedacht werde, der Schule, die nie
imstande sei, etwas von jenen der
Mütterlichkeit vorbehaltenen Werten
zu geben. Sie geißelte den Surrogat-

charakter unserer Zeit, die erst die
Mutter von den Kindern wegreißt,
namentlich durch die Industriali-
sierung der unteren Kreise, um dann
in Krippen, Horten und Heimen künst-
lichen und unzureichenden Ersatz zu
bieten. Aus ihrer Rede klang es wie
ein Aufbäumen der bedrohten Per-
sönlichkeitswerte der Menschheit ge-
gen den mechanischen Druck der sach-
lichen Verhältnisse. Die moderne
Frauenbewegung und Mädchenschul-
reform sah ihr Ziel darin, sich den
veränderten sozialen, industriellen,
materielken Verhältnissen anzu-
passen; die Verhältnisse selbst gal-
ten als der eherne Koloß, der uner-
schütterlich sei. Frau Schellenberg
aber fragt: Sind jene letzten ideal-
sten Werte unsres Daseins, die in
der Mütterlichkeit verankert liegen,
nicht vielleicht noch stärker als jener
Koloß? Sollte es z. B. unmöglich
sein, die Mutter der untern Stände,
die durch den Industrialismus ver-
braucht wird, ihrer Naturaufgabe des
Kindergebärens und «erziehens zu-
rückzugeben durch Verbot der Fabrik-
arbeit während einer gewissen Reihe
von Iahren?

Der Rede von Frau Schellenberg,
die sich teilweise weit vom Thema
„Elternhaus und Schule" entfernte,
war ein Vortrag vorangegangen, der
gerade diese Aufgabe trefflich löste.
Der Realgymnasialdirektor vr. Wei-
mer schilderte in warmherziger Weise
die Möglichkeiten eines Zusammen-
wirkens jener beiden Lrziehungs-
mächte und hielt sowohl den Lehrern
wie den Lltern manche Fehler vor,
die jener Gemeinsamkeit und über-
haupt einer gedeihlichen Lrziehung
entgegenstehen.

Äberblickt man den Kongreß in
seiner Gesamtheit, so darf er als Be-
tätigung dessen gelten, was der Vor-
sitzende, Schulinspektor Meyer-Ham-
burg, am Eröffnungstage als Leit-
motiv des Bundes auf Grund der
Begrüßungsreden sö gefaßt hatte:

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