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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI issue:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1913)
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Schmidt, Leopold: Weihnachtsmusik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0595

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allgemein menschlichen Bedeutung. Und wieder ist es die Musik, die
optimistischste von allen Künsten, die solchen Lmpfindungen ihren reinsten
Ausdruck leiht. Will man die Wesenszüge der Weihnachtsmusik in diesem
Sinne, einer solchen, die nicht nur kirchliche Texte behandelt, zusammen»
fassen, so wird man sie in der froh gehobenen Stimmung, die
ihr eignet, in einer gewissen Kindlichkeit des Ausdrucks und
in dem Bekenntnis zu einer milden, eudämonistischen Lebens--
auffassung zu suchen haben.

Liner alten Sitte gemäß wird an manchen Orten um diese Zeit Bachs
„Weihnachtsoratorium" aufgeführt. Das Werk, eigentlich ein über sechs
Sonntage gebreiteter Kranz von Kantaten, ist wie kein zweites dazu ge-
eignet. Es ist von einer Freudigkeit und Helligkeit, wie sie kaum sonst
bei Bach vorkommt. Mehr als der Ausdruck der Glaubenskraft und die
andächtig-beschauliche Ausmalung des heiligen Begebnisses darf uns an ihm
ein Zug von Volkstümlichkeit und herzlichem Frohsinn erfreuen. Das jubi-
liert und musiziert gleich zum Beginn so munter und unbefangen, daA
man sich mehr in eine weltliche Festlichkeit als in die Kirche versetzt glaubt.
Mit bewundernswertem Tiessinn hat Bach so das Anrecht der Welk
an diese Festessreude ausgesprochen. In diese kunstvoll gebauten Sätze
klingt etwas von der Spielmannsmusik hinein, die auf Gassen und Plätzen
erschallte, von den Weisen des „sahrenden Volkes^, das, ein wertvoller
Kulturträger, einst die Tonkunst des Mittelalters befruchtet und aus
kirchlicher Enge in die Weite neuer Lntwicklungsmöglichkeiten geführt hatte.

Ganz anders tritt uns tzändel in seinem „Messias^ entgegen. Hier
hat die Geburt Christi ihre monumentale Darstellung erfahren, in jenem
legendären und doch so ausdrucksvollem Stile, der Händels Meisterwerk
seine für alle Zeiten verständliche Sprache zu sichern scheint. Auch dem
„Messias" fehlt nicht das volkstümliche Gepräge; aber es wirkt hier nicht
als artistischer Reiz, sondern als bewußtes Kunstmittel seines Schöpfers
und hat dem Werk die weiteste Verbreitung, die stärkste Volkstümlichkeit
verschafft.

Bachs Oratorium und Händels „Messias^ stehen in einsamer Größe da^
so viel auch für den Festgebrauch komponiert worden ist. Die Weihnachts-
literatur hat ihnen nichts Ahnliches an die Seite zu setzen. Die Neu-
zeit, arm an größeren oratorienhasten Lrzeugnissen, hat nur in Philipp
Wolfrums „Weihnachtsmysterium" ein Werk von höherer Bedeutung
hervorgebracht. Aus der Tendenz, den Bachischen mit dem modernen
Lisztschen Kirchenstile zu verschmelzen, ist etwas musikalisch InteressanteK
entstanden, das jedoch, trotz seiner Beziehungen auf das Kirchenlied, schwer-
lich im Volke Wurzel schlagen wird. Unsere Weihnachtsmusik verausgabt
sich im übrigen in kleineren Formen. Sie ist anspruchsloser, bürgerlich
geworden. „Für Schule und Haus" ist ihr Leitspruch. Da werden zunächsk
die alten Weihnachtslieder — Volkslieder wie Kirchenlieder — für den
praktischen Gebrauch hergerichtet und für Klavier oder Gesang, ein- und
mehrstimmig bearbeitet. Ein reicher Schatz, der so manche Perle enthält.
Von den alten Weihnachtschorälen bis zu „O Tannenbaum" und „Stille
Nacht, heilige Nacht" sind die Volksweisen außerordentlich zahlreich, die
von dem Christkindlein und den Freuden des Christfestes singen. Kein
Wunder, daß Deutschland ganz besonders darin von jeher fruchtbar ge-
wesen: hat doch bei uns die Weihnachtsidee am tiefsten im Volksemp-
finden Wurzel geschlagen, und wird doch hier Weihnachten treuer und
 
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