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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1913)
DOI Artikel:
Schmidt, Leopold: Weihnachtsmusik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0596

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inniger als in andern Landen gefeiert! Schöner aber noch und ehrwürdiger
§ind die alten Kirchenlieder, die vielfach auch in die Kunstmusik über--
gegangeu sind. Um ein Beispiel aus dieser Art von Weihnachtsliteratur
zu geben, bringt unsere Notenbeilage das Lied „Es ist ein Ros' ent-
sprungen", wie es Iohannes Brahms in seinen Choralvorspielen
für Orgel bearbeitet hat. Schon die Worte versetzen uns in die naive
Glaubenssphäre früherer Iahrhunderte:

„Es ist ein Ros' entsprungen
Aus einer Wurzel zart,

Wie uns die Alten sungen,

Von Iesse war die Art,

Nnd hat ein Blümlein bracht
Mitten im kalten Winter
Wohl zu der halben Nacht.

Das Blümlein so kleine,

Das dustet uns so süß,

Mit seinem hellen Scheine
Vertreibt's die Finsternis.

Wahr'r Mensch und wahrer Gott,

Hilft uns aus allen Leiden,

Rettet von Sünd und Tod,

Lin Stern mit hellem Scheine
Drei Kön'ge sührt geschwind
Aus Morgenland in Eile
Zum neugebornen Kind.

Sie brachten reichen Sold
Und opserten in Freuden
Ihm Weihrauch, Myrrh'n und Gold.^

Brahms bedient sich hier der alten, schon vor Bach bekannten Form
des Ehoralvorspiels, ohne in kleinen Zügen und harmonischen Fein--
heiten den modernen Tonsetzer zu verleugnen, und hat der Weise in
dieser Nachdichtung ihre herben Reize gewahrt.

Das einsache, volkstümliche Weihnachtslied ist aber nicht nur das Er-
zeugnis der Vorzeit; es hat sich lebendig erhalten. Alljährlich entstehen
neue Lieder, und in allen Sammlungen für Schule und Familie steht
reichlich so viel Neues wie Altes. Allerdings findet sich darunter viel Ge-
wöhnliches, künstlerisch Untieses, und im allgemeinen ist, wie gesagt, diese
Gattung von ihrer einstigen Höhe zur Schablonenmäßigkeit und Flachheit
herabgesunken. Die Phantasie unserer Tonsetzer ist gewöhnt, sich mit
anderen Dingen zu beschästigen. Nur ab und zu hat sich einer der
Großen des schlichten Stoffes bemächtigt und etwas Persönliches beige-
steuert. So unter den lebenden Meistern Max Reger. In einem
seiner jüngsten Liederhefte, den Sechs Kinderliedern (Neue Folge der
„Schlichten Weisen"), besinden sich auch zwei Weihnachtsgesänge „Mariä
Wiegenlied" und „Der König aus Morgenland"^ das eine ernst-sinnig, das
andere humoristisch. Auch diese beiden vornehmeren Gebilde sind als
Probe moderner Weihnachtsmusik unserem Heste beigegeben.

Das einsache Strophenlied erscheint heutzutage des öfteren zum Duett
erweitert, für Chor gesetzt (mit und ohne Orgel oder Klavier) oder in
sreierer Form und strengerer Satzart als Motette. Nnter den Tondichtern
von Rang sind Max Bruch (zweistimmige Lieder) und Grieg (in
 
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