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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1913)
DOI Artikel:
Richter, Georg Martin: Meisterwerke des Kunstgewerbes
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0600

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sich die einzelnen Elemente immer mehr zusammen, und man gewinnt die
Illnsion einer nicht begrenzten Fläche. Es wird, wenn ich so sagen darf,
die Idee der Fläche zum Ausdruck gebracht.

In einer Hinsicht freilich empfindet auch der pompejanische Künstler
echt dekorativ, darin, wie er die verschiedensten Motive der Fauna und
Flora seinen Zwecken dienstbar macht. Lr wählt für seine Löwen, Kinder,
Menschenköpfe, Vögel und Pflanzen ganz willkürliche Dimensionen und
setzt unbedenklich alles nebeneinander, wie es ihm gerade schön dünkt. Mir
scheint, daß moderne Dekorateure zu wenig Gebrauch von dieser Freiheit
machen. Sie unterwerfen sich meist allzu ängstlich den Forderungen des
Naturalismus.

Konsequenter Naturalismus aber ist in dem Gebiete der dekorativen
Kunst immer eine Gefahr. Es ist nicht immer leicht, rein dekorative
Kunstwerke von jenen zu unterscheiden, die darüber hinausgehende Wirkun-
gen anstreben. In den meisten Fällen aber kann man die scharfe Linie
ziehen, die das Reich der Kunst in zwei Hälften teilt. Daß diese Grenze
zugleich eine stilistische Wasserscheide sozusagen ist, haben besonders die
europäischen Künstler oft übersehen.

Derartige stilistische Ansicherheiten kann man in allen Lpochen sinden.
Als ein Beispiel aus dem Zeitalter der Renaissance führe ich das italienische
Chorgestühl an, das im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin aufbewahrt
wird (Beil. S. D- Der plastisch-architektonische Aufbau mit seinen
schönen, strengen Proportionen ist außerordentlich wirkungsvoll. Wie
organisch ist die Fläche der Rückwand durch die geschnitzten Lehnen,
die Pilaster und das kräftige Gesims gegliedert! Schön sind auch die
mit feinem, durchbrochenen Rankenwerk gefüllten Rechtecke. Weniger
glücklich dagegen erscheinen mir die bildlichen Intarsien. Dem Künstler
war hier die Aufgabe zugefallen, einen feinen malerischen Flächenschmuck
zu schaffen. Nrsprünglich, im Trecento, hatte man solche Felder mit
geometrischen Mustern ausgefüllt. Aber als die Kunst der zeichnerischen
Perspektive entdeckt wurde, waren die Künstler von dieser Ersindung wie
berauscht und schwelgten geradezu in der Anwendung der neuen Kunst-
sertigkeit. Man füllte daher auch die Felder von Chorstühlen und
Schränken mit perspektivischen Ansichten, wie das Mittelfeld auf unserer
Abbildung. Aber solche perspektivische Bilder sind undekorativ. An-
statt die Fläche zu füllen, machen sie ein Loch in die Wand und ziehen
das Auge in die Tiefe.

An vielen Schöpfungen des modernen Kunstgewerbes kann man er-
kennen, daß unsere Künstler über die Gesetze der dekorativen Kunst nach-
denken. Zweifellos verdankt der moderne Flächenstil sehr viel den Orien-
talen. Werden wir es nun auch erleben, daß die orientalische Raumkunst
von der europäischen nachhaltig beeinflußt wird?

Als Raumkünstler können die Orientalen mit den Europäern nicht
rivalisieren. Der Sinn für Proportionen ist bei ihnen nur wenig ent-
wickelt, und es fehlt ihnen an tektonischem Verständnis. Griechische Kunst-
gegenstände drangen in den ersten Iahrhunderten unserer Zeitrechnung
nach Persien und Indien, vielleicht bis China. Die plastische Formenwelt
wurde durch diese Vorbilder veredelt, aber die Orientalen zeigten sich
unfähig, aus dieser ihnen wesensfremden Grundlage weiterzubauen. Die
europäischen Völker, insbesondere die Germanen und Romanen traten
das Erbe der Hellenen an.
 
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