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Hübner, Klara; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Im Dienste ihrer Stadt: Boten- und Nachrichtenorganisationen in den schweizerisch-oberdeutschen Städten des späten Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 30: Ostfildern, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.34908#0015

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2

Einleitung

Schicksalsgenossen erhalten.1 Musste er noch über 40 Kilometer laufen um hel-
denhaft sterben zu dürfen, reichten dem Basler Läufer, welcher die Nachricht von
der Niederlage der Eidgenossen bei St. Jakob an der Birs 1444 nach Basel über-
brachte, bereits fünf Kilometer.2 Sein Freiburger Kollege legte vor seinem Ableben
immerhin 18 Kilometer zurück: Nach dem Sieg der eidgenössischen Heere über
den burgundischen Herzog Karl dem Kühnen 1476 bei Murten übermittelte er
seinem Rat nicht nur die frohe Botschaft, sondern auch einen Lindenzweig vom
Schlachtfeld.3
Neben der Pflichttreue bis in den Tod hat sich noch ein weiteres, weniger
schmeichelhaftes Bild vormoderner Informationsverbreitung entwickelt. Es zielt
auf die Geschwindigkeit der Übermittler ab und schmückt heute noch die Front-
seite zahlreicher Jahreskalender im Raum Schwarzwald, Baden-Württemberg und
der Schweiz. Es geht dabei um den »Hinkenden Boten«, der vor allem im 18. Jahr-
hundert weite Verbreitung fand.4 Wer heute diesen Kalender wegen der darin ent-
haltenen Angaben zu Gedenktagen, Messe-, Pflanz- und Saatterminen, aber auch
Denkwürdigkeiten oder Vereinsnachrichten kauft, schenkt dem Holzfuss-Invali-
den auf dem Deckblatt nur wenig Beachtung. Auf dem Berner Beispiel von 2012
wird seine Langsamkeit zusätzlich durch die Schnecke betont, was dem Boten of-
fensichtlich lästig ist.
Was heute als unterhaltsame, etwas nostalgische Allegorie gemütlicher Infor-
mationsverbreitung dargestellt wird, trägt den Keim der Kritik an der Ineffizienz
von Fussboten in sich, denen berittene Postreiter sprichwörtlich den Rang abgelau-
fen haben. Tatsächlich muss diese Darstellung bereits im 18. Jahrhundert anachro-
nistisch gewirkt haben, denn die Trennung von schneller anonymer Übermittlung
organisierter Kurrierdienste und der langsamen, an keine Kurse gebundenen Infor-
mationsverbreitung durch Fussläufer, erfolgte im ausgehenden 16. Jahrhundert. Zu
diesem Zeitpunkt hatten die radikalen gesellschaftlichen und politischen Umwäl-
zungen einen grundlegenden Wandel der Kommunikationsstrukturen herbeige-
führt. Der Einfluss des Buchdruckes wurde dabei oft hervorgehoben. Ebenso die
dadurch erwirkte Entstehung der grossen frühneuzeitlichen Öffentlichkeiten, die
sich über neue Medien, wie beispielsweise Periodika zu informieren begannen.5 Re-
gelmässig erscheinende Druckerzeugnisse in hohen Auflagen beförderten auch die

1 Die sporthistorische Forschung hat die Folgen des Dauerlaufes in Hoplitenrüstung mehrfach
erörtert. In Ermangelung von Quellen, wird sich allerdings nicht herausfinden lassen, ob der
berühmte Marathonläufer tatsächlich am Ziel verstorben ist. Für einen entsprechend trainierten
Eilboten stellte die zurückgelegte Stecke kein Problem dar, vgl. etwa: Kerstesz, Schlacht, 1991,
S. 155-160, Frost, The origin, 1979, S. 159-163, Suolahti, Marathon-Runner, 1967, S. 127-133.
2 Diese Legende entstand im 19. Jahrhundert um die steinerne Figur eines Basler Läufers, welche
den Eingang zum Ratssaal schmückt, siehe: Moser, Basler Postwesen, 1971, S. 61.
3 Mehr zur Entstehung der Legende bei: Himmelsbach, Je lay empris, 2001, S. 109-122, Gros-
jean, Die Murtenschlacht, 1976, S. 35-90. Aus dem Zweig, welchen der Läufer angeblich vom
Schlachtfeld brachte, wuchs die Murtenlinde vor dem Freiburger Rathaus, der Legende vom
Murtenläufer hingegen wird seit 1933 ein jählicher Volkslauf gewidmet, mehr dazu auf: http: / /
www.morat-fribourg.ch (9.7. 2011).
4 Zum folkloristischen Hintergrund dieser Kalender siehe: Rennert, Postbote, Postreuter, Postil-
lion, 1940, S. 160-174. Als Bsp. für die online-Tauglichkeit des »hinkenden Boten« siehe auch:
http:/ / www.lahrer-hinkender-bote.de (9.7.2011).
5 Zur Übersicht auch: Faulstich, Medien, 1998, Hoffman, Öffentlichkeit, 2001, S. 69-110.
 
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