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Hübner, Klara; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Im Dienste ihrer Stadt: Boten- und Nachrichtenorganisationen in den schweizerisch-oberdeutschen Städten des späten Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 30: Ostfildern, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.34908#0083

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3. Das städtische Botenwesen als Organisationsform

3.2. Auswahlkriterien für Übermittler

Nach welchem »Verteilschlüssel« Rat und Schreiber Aufträge vergaben und warum
die offiziellen Nachrichtenwesen der untersuchten Städte auch im 16. Jahrhundert
nach wie vor auf den Diensten von Amtpersonal und mehr oder weniger freiwilli-
gen Übermittlern aufgebaut war, ist nicht einfach zu beantworten. Einer der Haupt-
gründe für die Langlebigkeit dieser offenen Struktur liegt in den Bedeutungsebe-
nen, die Sender und Empfänger mit der Nachrichtenübermittlung verbanden.
Spätestens seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert wurden Nachrichtenübermittler
von der Stadtführung nämlich auch als Träger bewusst zur Schau gestellter Zei-
chen eingesetzt.20
Das persönliche Verhältnis zwischen Boten und Ratsherren war häufig von
Vertrauensbindungen geprägt. Ihre Intensität, die meistens auf familiale Nähe zu-
rückging, entschied darüber, welcher Bote mehr mündliche Nachrichten überbrin-
gen durfte und wer nur für die Übermittlung von Briefen herangezogen wurde. Für
gewöhnlich wurden besonders vertrauenswürdige Boten neben der offiziellen In-
formationsverbreitung auch für informelle Aufträge herangezogen. Zum einen ent-
schied also der Typ der Nachricht, ihr Ziel, der Inhalt und ihre Relevanz über die
Wahl des Übermittlers. Zum anderen konnte seine Wahl auch Abbild eines komple-
xen sozial-institutionellen Bezugssystems sein, dass zwischen Auftraggeber, Über-
mittler und Empfänger bestand.21
Doch auch in diesem Punkt agierten die Stadtführungen individuell: Ob Briefe
oder mündliche Nachrichten letztlich offiziellen Dienstleuten anvertraut oder von
beliebigen Gelegenheitsübermittlern mitgenommen wurden, hing im Alltag meis-
tens von örtlichen Traditionen ab. Im Falle nicht alltäglicher Nachrichten, die ihr
Ziel garantiert zu erreichen hatten, galten hingegen europaweit ungeschriebene
Übermittlungsnormen - um nicht zu sagen kulturelle Codes - die von den meisten
Kommunikatoren eingehalten wurden.22 Welchen Einfluss allfällige Beziehungen
zwischen Boten und Räten auf die Zuweisung eines Auftrages hatten, hing von sei-
ner Relevanz ab. Ging es um die Verbreitung täglicher Neuigkeiten, musste garan-
tiert werden, dass die Information nicht nur ihr Ziel erreichte, sondern dass dies
auch in einer angemessenen Geschwindigkeit geschah. Welchen Kostenfaktor
stellte Letzteres für den Auftraggeber dar? Wie hoch war der Anteil an mündlicher
Information, für wessen Ohren war sie bestimmt und wie nahe wurde der Bote da-
bei zum Empfänger vorgelassen? Diese Fragen lassen sich im Westlichen durch vier
Kernbereiche abdecken:
1. Die Auswahl der Übermittler hing zunächst von ihrem Rechtsstatus ab, d.h.
der Frage, ob er ein vereidigter Läufer war oder nicht. Nur letzterer hatte als

20 In erster Linie waren damit Amtsröcke, Insignien, der Botenspiess, Briefbehälter und weitete
Merkmale offizieller Übermittler gemeint, ausführlicher dazu in Kap. Stadtläufer, die Zeichen
ihres Dienstes.
21 Siehe Einleitung, Pohl, Einführung, 1989, S. 7f.
22 Dazu siehe mehr in Kap. Stadtläufer, Die Zeichen ihres Dienstes. Zu den Funktionen der Dienst-
kleidung auch: Mertens, Wappenrock, 1993, S. 189-204, Dinges, Unterschied, 1991, S. 49-76.
 
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